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Einzeltest > Vorverstärker > 26.06.2025

Königsklasse

Wohl kaum eine Röhre genießt in audiophilen Kreisen einen so mystischen Ruf wie die legendäre Triode 300B. Wogegen nichts zu sagen ist, wenn man die alte Dame richtig einsetzt. Was in diesem Falle höchst überzeugend geschehen ist.

Vorstufe Manley Neo-Classic 300B RC

Eine ganz besondere Vorstufe
Eigentlich ist die Sache ganz einfach und wird bereits im ersten Absatz der Produktbeschreibung erschöpfend abgehandelt: „Impedances not too low and power requirements not too high“, zu Deutsch: Impedanzen nicht zu niedrig und Leistungsanforderungen nicht zu hoch. Unter diesen Voraussetzungen kann eine 300B wahre Wunderdinge vollbringen. Diese Voraussetzungen erreicht man am einfachsten, wenn man sie von schwerer Arbeit befreit, soll heißen: sie nicht mit der Ansteuerung von Lautsprechern beauftragt. Ich weiß, ich weiß: Einige der berühmtesten Endverstärker aller Zeiten arbeiten mit eben jener 300B und genießen einen Ruf wie Donnerhall; das funktioniert jedoch nur, wenn die Lautsprecher mitspielen: Ein gnädiger Impedanzverlauf ist ebenso Pflicht wie ein knackiger Wirkungsgrad, sonst wird’s nichts mit dem großen Gefühl beim Musikhören. Das weiß natürlich auch EveAnna Manley, ihres Zeichens Chefin und Konstrukteurin bei den kalifornischen Manley Laboratories. Tatsächlich hat die Firma über die Jahre immer wieder Kleinleistungsverstärker mit der 300B gebaut, die einen ausgezeichneten Ruf genießen. Im vorliegenden Fall jedoch geht’s um eine Line-Vorstufe mit Kopfhöreranschlüssen, die EveAnna unumwunden als das esoterischste Produkt in ihrem Portfolio bezeichnet. Das ist unter dem Aspekt nachzuvollziehen, als dass die Damen einen großen Teil ihres Umsatzes mit Geräten aus der Studiotechnik generiert, bei denen ganz andere Dinge im Vordergrund stehen als mystische Klangideale. Allerdings erinnere ich mich mit Freuden an meine zurückliegenden Begegnungen mit Geräten aus jenem Haus, bei denen ich den „Muss ich kaufen“-Reflex nur mit Mühe unterdrücken konnte – allen voran die wunderbaren EL84-Monos „Mahi“, die es mir seinerzeit echt angetan hatten.   

Aufmachung 
Die Neo-Classic 300B RC ist in vielerlei Hinsicht ein genauso einzigartiges Produkt wie die kleinen Monos. Optisch mit mindestens ebenso viel Eigenständigkeit gesegnet wie alle Manley-Produkte, qualifiziert sich diese ganz besondere Vorstufe schon von daher als Mittelpunkt einer HiFi-Anlage. Die Aufmachung ist eine sehr technische, das Stahlblechgehäuse mit graublauer Aluminiumfront ist nur „Unterbau“ für die ganzen Leckereien, die oben drauf angebracht sind. Da wäre zunächst ein Paar der namensgebenden Endröhren vom Typ 300B, Manley liefert das Gerät mit untadeligen und recht günstigen Electro Harmonix-Typen aus; überflüssig zu erwähnen, dass sich hier für den Tube Roller eine unendlich große Spielwiese auftut.  

Röhren und mehr 
Hinter den beiden großen Röhren ist der substanzielle Netztrafo angebracht, der die ganze Chose mit Strom versorgt. Angesteuert werden die beiden Endröhren – wie alles an diesem Gerät, laufen natürlich auch sie im echten Single-Ended-Betrieb – von jeweils einer Doppeltriode vom Typ 6SL7GT. Dieser amerikanische Klassiker wird gerne an dieser Stelle eingesetzt, Manley setzt auf Sovtek-Typen. Die Signalverarbeitung wäre damit schon fast erschöpfend behandelt, die restliche Röhrenbestückung dient der Stromversorgung. Und auch hier hielt man sich an klassische Rezepte und verbaute pro Kanal eine Gleichrichterröhre (5AR4) und sogar eine Regelröhre (OD3) für die Hochspannung. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Anordnung nennenswert für den besonderen Klangcharakter des Gerätes mitverantwortlich ist. In Sachen Bedienung gibt sich das Gerät zumindest teilweise sehr klassisch. Links gibt’s einen Drehschalter, der zwischen fünf (natürlich unsymmetrischen) Eingängen wechselt, mittig trohnt der Lautstärkesteller (hinter dem ein Alps-Motorpoti seinen Dienst verrichtet), rechts der als Drehschalter ausgeführte harte Netzschalter.  

Kopfhörerbetrieb 
Halb links gibt’s zwei 6,3-Millimeter-Kopfhörerbuchsen, zu denen man noch ein bisschen was erzählen muss: Sie werden nämlich über zwei selbst gewickelte Transformatoren angesteuert, deren Übersetzungsverhältnis per Kippschalter auf der Geräteoberseite wählbar ist: Die Stellung 30-400 Ohm ist für niederohmige, 300- 4000 Ohm für hochohmige Kopfhörer. Es gibt noch zwei weitere Schalter im Zusammenhang mit dem Transformatorenthema: Einer schaltet die Übertrager komplett aus dem Signalweg heraus, was der empfehlenswerte Modus für den Vorverstärkerbetrieb ist, dann gibt’s nämlich „Röhre pur“ an den Line-Ausgängen. Der dritte Schalter wählt zudem zwischen Kopfhörer- und Line-Betrieb; das ist ein bisschen doppelt gemoppelt, liegt aber in der ausgangsseitigen Verschaltung begründet.  

Aufbau 
Der Neo Classic 300B arbeitet nicht völlig gegenkopplungsfrei, sondern mit sehr moderaten 8,5 Dezibel Über-Alles-Gegenkopplung.


Das sind die Übertrager, die die Kopfhörerausgänge bedienen
Das sorgt für mehr Linearität, geringere Verzerrungen und gleicht kleinere Ungleichheiten bei den Röhren aus. Völlig ohne Gegenkopplung ist bei Manley sicherlich keine Option, dafür ist man zu tief in der Studiotechnik verwurzelt. Zudem sorgt die Gegenkopplung für gesunde 100 Ohm Ausgangsimpedanz am Line-Ausgang, so dass man auch mal ein paar Meter Kabel damit treiben kann. Eingangsseitig ist das Gerät mit 100 Kiloohm recht hochohmig ausgelegt, stellt also keine nennenswerte Last für die angeschlossenen Quellen dar. Unter dem Bodenblech kommt ein ziemlich üppiger Aufbau zum Vorschein. Die reichlich vorhandene Technik verteilt sich auf eine Vielzahl von Platinen. Auffällig ist die elektronische Stabilisierung der Heizspannung, was beim Einsatz einer 300B eher unüblich ist. Das Signal für die Line-Ausgänge wird über zwei große REL-Caps ausgekoppelt, diese Folienkondensatoren erfreuen sich bei amerikanischen Herstellern großer Beliebtheit. Die beiden Trafos für die Kopfhörerausgänge sind hausgemacht. Übrigens liefert die Ausgangsstufe eine Leistung von einem satten Watt, was für die hier angedachten Anwendungsfälle ausgesprochen reichlich ist – die 300B ist in diesem Umfeld halt eine ziemlich kräftige Röhre. Das Motorpoti ist natürlich fernbedienbar, der ein bisschen schrullig wirkende Geber passt stilistisch ausgezeichnet zu diesem Prachtstück von einer Vorstufe.  

Klang
Ein solches Gerät ist nichts, was man einschaltet und dann sofort seine volles klangliches Potenzial entfaltet. So eine Viertelstunde braucht die Neo Classic 300B schon, um ihre Magie zu entfalten. Sie suchen eine gnadenlos detaillierte, den Raum bis in den hintersten Winkel ausleuchtende Präzsionsvorstufe? Dann hätte ich da ein paar gute Tipps für Sie, aber die Manley zählt nicht dazu. Sie ist Genuss pur. Ihr Klangbild leuchtet, atmet und tanzt. Sogar an einer eigentlich bodenständigen Endstufe wie meiner ollen Yamaha P-2200 entfaltet sie eine Dynamik und eine Strahlkraft, die ich selten erlebt habe. Das geht sogar noch extremer: An den GGNTKT-Aktivlautsprechern M1, so ziemlich dem Gegenteil davon, was man normalerweise an eine solche Vorstufe anstöpseln würde, schwang sich die Manley zu besonders großer Spielfreude auf. Der „Bumms“ im Oberbassbereich war immens, aber nicht unangenehm, das wirkte souverän, nicht übertrieben. Der Einstieg in Chick Coreas 1972er Meisterwerk „Return To Forever“ zeigt vielleicht am eindrucksvollsten, was diese Vorstufe ausmacht: Das Intro klingt butterweich, ungeheuer geschmeidig und betont rhythmusorientiert. Gesangsstimme und Flöte sind bestens eingebunden, nicht jedoch mit chirurgischer Präzision herausgearbeitet. Die Tonalität ist das, was man am ehesten mit dem Begriff „analog“ verbindet. Und ja, ich musste wieder Fleetwood Macs unverwüstlichen Klassiker „Rumours“ auflegen. Bei „Dreams“ brauche ich genau den ersten Ton von John McVies Bass und weiß, ob ein Setup im Bass funktioniert. Hier tut es das großartig: sonor, kraftvoll und überzeugend tönt’s unten herum, Mick Fleetwoods Bass Drum schlägt in genau die gleiche Kerbe. Die Fähigkeit der Manley, Töne miteinander zu verbinden und das große Ganze fließen zu lassen ist außergewöhnlich, macht sie abermals zu einem Manley-Gerät, dass ich ausgesprochen ungern wieder ziehen lass.


Fazit

Manleys große Vorstufe ist Röhre pur: Eindrucksvoll, flüssig, warm, rhythmisch perfekt – Wohlklang auf allerhöchstem Niveau.

KategorieVorverstärker
ProduktNeo Claccic 300B RC
HerstellerManley
Preis10000 Euro
Getestet vonHolger Barske
Vorheriger Test

Einflussreich - Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

Logo LP:Magazin

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