Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7 im Test, Bild
Die ungefähre Lesezeit beträgt 8 Minuten
Einzeltest > Röhrenvorverstärker > 05.06.2024

Einflussreich

Wenn ein neues Produkt vom japanischen Röhren spezialisten Air Tight auf den Markt kommt, ist das ein Grund zum Feiern, denn die Mannen aus Osaka schicken keine Banalitäten ins High-End-Rennen. Ganz sicher nicht im Fall des ATC-7.

Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

Ein Rückblick
Air Tight Firmenchef Atsushi Miura ist vor zwei Jahren mit 88 Jahren gestorben. Er war die Seele des Unternehmens, das er 1986 gegründet hatte. Sein 20 Jahre jüngerer Partner und dezidierter Nachfolger Masami Ishiguro starb leider bereits 2014 und so sah sich Miura-san gezwungen, sein Team anders zu verjüngen. Als er gebrechlicher wurde, rückte sein Sohn Jukata „Jack“ Miura an die Firmenspitze, praktisch zeitgleich ging ein deutlich verjüngtes Entwicklungsteam an den Start. Air Tight hat sich verändert, ist gewissermaßen elitärer geworden und ich kann ihnen nicht einmal böse sein. Denn eigentlich waren die Geräte früher zu günstig. Zu günstig, um damit angemessen Geld zu verdienen. Und auch zu günstig, um in der irren Welt absoluten High-Ends ernst genommen zu werden. Nun wird Air Tight zu Recht in einem Atemzug mit Kondo genannt.   

Modellpolitik
Air Tight hat in den letzten Jahren ordentlich Fahrt aufgenommen und das Portfolio gezielt verändert. Den Anfang machte die ATM-300R Röhrenendstufe noch unter der Ägide von Miura Senior mit den beiden neuen Entwicklern Hamada und Hayashiguchi. Dann ging es weiter mit der ATC-5(s), der ATM-2Plus, der ATE-3011 Phono, den ATM-2211 Monos und nun dem ATC-7. Alle bestätigen den Trend zu teureren Geräten und einer Abkehr vom alten Portfolio. Das muss man auch verstehen, denn Atsuhi Miura war ein Mann der Röhrenära, dessen Bezüge und Ideen die Entwicklung gibt ihnen Recht, denn Air Tight war kommerziell noch nie so erfolgreich wie gerade.   

Idee und Typengeschichte

Die Entwicklung des ATC-7, neben dem ATC-3 der einzige Hochpegelvorverstärker im Portfolio, nahm gut drei Jahre in Anspruch. Zuvor gab es mit dem ATC-2, von dem der ATC-3 herunter skaliert wurde, nur einen großen Hochpegelvorverstärker in der Air Tight Geschichte, alle andere hatten eine Phonostufe eingebaut. Die Entwicklungsidee für den ATC-7 fand unter dem Leitmotiv „Take back your control“ statt. Die Geschichte dahinter reicht in Jack Miuras Kindheit zurück. Denn in seiner Jugendanlage spielte, Papa Miura sei Dank, der legendäre McIntosh C22 Vorverstärker mit Klangreglern. Jacks Freude und die Erinnerung sind nie verblasst, sprich er hat derartige Klangregler seither vermisst. Ich verstehe den Mann zu gut, denn Purismus hat seine Grenzen, gerade wenn man es mit musikalisch tollen, aber klanglich zweifelhaften Aufnahmen zu tun hat. Oder seinem akustisch vielleicht nicht perfekten Raum so ein Schnippchen schlagen kann. 2019 begann die Entwicklung des ATC-7, im Zuge derer alle denkbaren Konfigurationen getestet wurden. Unter anderem auch eine Röhrengleichrichtung wie in den früheren ATC-2, ATE-2 oder der ATE-2001 Referenzvorstufe. Aber sie wurde zugunsten einer geregelten Transistorschaltung verworfen, die sicher auch zu der irren Bassperformance des Geräts beiträgt, aber dazu später. Das neue Air Tight Chassisdesign hatte man schon bei der ATC-5 entwi-ckelt. Es besteht aus einem Quasi-Monocoque mit einer abnehmbaren Bodenplatte und einem entkoppelten Innenchassis. Das Innenchassis dient als Schirm für die Schaltung und soll Mikroresonanzen unterdrücken, ein Aspekt, dem sich kaum ein Hersteller wirklich widmet.  

Technik
Es ist wegen des Monocoquechassis nicht mehr so leicht wie früher, sich einen Überblick über die Technik des ATC-7 zu verschaffen. Lassen Sie es mich so sagen: es stecken Besonderheiten in dem Gerät, die wir nicht alle lüften können. Entscheidend ist sowieso wie ist er auf dem Platz, sprich wie sich der Verstärker in der Praxis macht, wie er klingt.

Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7 im Test, Bild
Nur das Nötigste. Einzig über die unsymmetrisch beschalteten XLR-Eingange kann man streiten
Und da kann ich ihnen nur das Allerbeste versprechen. Die zweistufige Eintaktschaltung des ATC-7 arbeitet mit je zwei ECC82 und ECC83 Doppeltrioden, ausgekoppelt wird mit einer sogenannten SRPP. Das ist eine oft missverstandene Schaltungstopologie, die vom Japaner Anzai 1969 aus dem HF-Bereich entlehnt wurde und bei der man ganz besonders auf die Bauteilegüte und die Arbeitspunkte der Röhren achten muss, will man von ihren Vorteilen profitieren. Denn dazu gehören eine enorme Klirrarmut, eine sehr hohe Ausgangsspannung und eine sehr niedrige Ausgangsimpedanz. So kann man auch mehr als zehn Meter lange Kabel und schwer zu treibende Folgegeräte ohne Probleme einsetzen. Stößt man bei einer Kathodenfolger-Schaltung bereits bei 600 Ohm an die Grenze, schafft man mit einer SRPP locker 200 Ohm. Jede Röhre wird separat versorgt, unter anderem dafür gibt es gleich zwei Ringkerntrafos, die zur Minimierung ihrer Streuwirkung hochkant eingebaut sind. Der Mix aus älteren Mullard- und neuen Electro Harmonix- Röhren erschließt sich mir nicht so ganz. Von den beiden Triodensystemen der ECC83 (12AX7) wird nur eins verwendet. Neu ist die Erweiterung des Netzteils durch eine hauseigene Siebdrossel, die diskreten Spannungsregler kennt man aus früheren Vorstufen.  

Kontrolle

Die Charakteristik der Klangregler entspricht der klassischer Studioanwendungen, wie mir mein Kollege und studierter Tonmeister Ekkehard Strauss bestätigte. Man nannte diese Regelung eigentlich „Klangwaage“, worauf ich gleich noch zu sprechen komme. Mit ihrer Hilfe konnte man zum Beispiel in klassischen Neve-Mischkonsolen bereits fertige Tracks gezielt feintunen, ohne noch einmal den ganzen Mix verändern zu müssen. Ich habe die Charakteristika der beiden Regler natürlich ausprobiert und komme gleich zu einem Klangbeispiel. Man hatte auch eine Bassminderung erwogen, sich aber dagegen entschieden, was ich schade finde, denn so hätte man zum Beispiel einer Überbetonung im Bass bei ungünstigen Aufstellungsmöglichkeiten seiner Lautsprecher entgegen wirken können. Deshalb trifft auch der Begriff Klang- oder Frequenzwaage nicht mehr, es handelt sich um ein sogenanntes Shelf EQ mit einer Einsatzfrequenz bei 1kHz. Mit den Reglern kann man auf unterschiedliche Weise die Kurven der Filter verändern. Die Klangregler liegen vor der Ausgangsstufe und vor den Gainreglern. Diese sind sinnvoll, wenn man Quellen oder fremde Endstufen an passen möchte, eine klassische Balancerege-lung ersetzen sie nicht. Die ATC-7 hat neben drei Cinch- auch zwei XLR-Eingänge, die aber unsymmetrisch beschaltet sind. Es ist ein Hochgenuss, mit dieser Vorstufe umzugehen: herrliche drehende und wunderbar in der Hand liegenden Regler, sattes Rasten und Totenstille. Ich meine, absolute Stille: kein Rauschen, kein Brummen, kein Surren – nichts. Nur Musik.  

Hochgenuss
Das erste, was mir am Klang der ATC-7 auffällt ist ihr furztrockener Bass, der mit einer fast erschreckenden Schwärze und Gnadenlosigkeit auch beste Transistorvorstufen in den Schatten stellt. Und dann ihre Stille und Neutralität. Hier ist garantiert kein wohliger Röhrensound zu hören und das steht ganz in der Tradition der hochdynamischen Entwicklungen von Miura-Senior. Aus einer unfassbaren Schwärze heraus steht auf einmal Serge Gainsbourghs Stimme im Raum und dazu gesellt sich ein derart fetter und doch klar definierter Bass: SO kenne ich diese Aufnahme nicht. „Vrrrrm“ saust mit einer irren Rasanz und ohne jede Verwischung ein Perkussionseffekt durchs akusti-sche Bild, dass ich richtig zusammenzucke. Das Titelstück „L´Histoire de Melody Nelson“ begann immer schon mit einem festen Bass. Aber mit dieser Vorstufe beginnt es zusätzlich mit Farbe und Feindynamik, einer Griffigkeit und Geschmeidigkeit, dass ich fast nicht mehr weiter hören möchte. Denn mit dem ATC-7 ist ein wenig wie mit Drogen: ich wollte sie gar nicht probieren, denn wenn sie mir gefallen hätten, dann hätte ich sie mir ja kaufen müssen. Verzeihen Sie das Beispiel, aber ich habe sie ge-warnt – das Gerät hat Suchtpotential. Aber ich höre natürlich weiter und frage mich, woher auf einmal das Trompetensolo auf Valse De Melody kommt? Wurde das für den ATC-7 aufgespart? Ich bin verwirrt, denn mit so einem niemals zerfasernden Detailreichtum, mit diesen holographisch ausgeleuchteten Klangräumen habe ich nicht gerechnet. Oder anders herum, die habe ich so noch nie gehört. Um mich zu beruhigen probiere ich die Klangregler aus und erlebe gleich beim ersten Versuch eine extrem positive Überraschung. Hank Mobleys LP „Roll Call“ klingt zumin-dest in meiner Einspielung seltsam ausgezehrt und spaßbefreit. Als ich den Presenceregler um eine Raste ins Plus drehe ist die dünne Mittendarstellung Geschichte und das Geschehen bekommt mit einem Mal Druck und Farbe. Das ist alles andere als eine Spielerei, das ist ein Geniestreich und so wird Jack Miuras Mut belohnt, in High- End-Kreisen verpönte Klangregler in den ATC-7 einzubauen.


Unterm Strich...

Die Air Tight ATC-7 gehört zu den besten Vorstufen, die man für Geld und gute Worte erwerben kann.

KategorieRöhrenvorverstärker
ProduktATC-7
HerstellerAir Tight
Preis30000 Euro
Getestet vonChristian Bayer
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Christian Bayer
Redakteur / Tester

Christian Bayer


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