Platte Arne Domnérus & Gustaf Sjökvist – Antiphone Blues (AudioNautes Recordings) im Test, Bild
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Musikrezension > Platte > 21.10.2025

Arne Domnérus & Gustaf Sjökvist – Antiphone Blues


Genre: Audiophiler Jazz

Wem in seinem Leben das Motto „Vom Guten das Besondere“ nicht ganz fremd ist, der hat jetzt die Gelegenheit, seinen Ohren, seiner HiFi- Anlage und seiner LP-Sammlung ein Werk von besonderer Güte zu gönnen. Es zählt seit seiner Entstehung im Jahr 1975 zu den absoluten audiophilen Perlen und wird nach 50 Jahren in einer alle bisherigen Versionen übertreffenden, auf 1.000 Exemplare limitierten Auflage angeboten und übertrifft damit noch die Ausgabe, die AudioNautes bereits im Jahr 2018 veröffentlicht hat. Während diese aus einer LP im 33RPM-Umschnitt bestand, handelt es sich nun um drei einseitig bespielte LPs aus 180 Gramm schweren Vinyl, die nach 45 Umdrehungen verlangen. Diese liegen in einer magnetisch schließenden Box, in der man mehr als drei LPs vermuten könnte. Um den Inhalt zu fixieren, befindet sich unter der dritten LP ein schwarzer Einleger, der die darunter liegende dicke Pappe verdeckt. Somit könnte man eventuell bereits vorhandene Ausgaben von „Antiphone Blues“ dieser Box zufügen. Hinter dem Deckel befindet sich eine Aussparung, in der ein achtseitiges Booklet zu finden ist. Darin sind neben den Liner Notes des Original-Labels auch weitere Informationen zur verwendeten Technik des Remastering-Prozesses sowie ein einleitender Text und Fotos des Aufnahmeortes zu finden. 

Wenn ein Album fünf Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung immer noch als eines der besten audiophilen Referenzwerke der Welt gilt, dann steckt sicher etwas ganz Besonderes dahinter. „Antiphone Blues“, ursprünglich 1975 auf dem schwedischen Label Proprius erschienen, ist solch ein Werk - eine außergewöhnliche musikalische Begegnung zwischen dem legendären schwedischen Altsaxofonisten Arne Domnérus und dem Organisten Gustaf Sjökvist, die in der atmosphärischen Spånga-Kirche bei Stockholm stattfand. 

Zunächst zu den Protagonisten: Arne Domnérus (1924-2008) war zweifellos eine der prägendsten Gestalten des skandinavischen, ja sogar des europäischen Jazz. Der in Stockholm geborene Saxofonist und Klarinettist etablierte sich bereits in den 1940er Jahren als herausragender Musiker und wurde schnell zu einer Schlüsselfigur der schwedischen Jazzszene. Seine Karriere erreichte internationale Aufmerksamkeit, als er 1949 beim Pariser Jazz Festival auftrat - ein Konzert, bei dem sowohl Charlie Parker als auch Dizzy Gillespie anwesend waren und das als Wendepunkt der skandinavischen Bebop-Bewegung gilt. 

Arne Domnérus entwickelte einen urbanen und kultivierten Stil, der die typische „coole“ schwedische Jazzästhetik der 1950er Jahre verkörperte, dabei aber eine emotionale Tiefe und Dringlichkeit bewahrte, die ihn von seinen Zeitgenossen unterschied. Seine Zusammenarbeiten mit amerikanischen Jazzgrößen wie Clifford Brown, Art Farmer und James Moody festigten seinen Ruf als Musiker von Weltklasse. Besonders seine Arbeit mit dem schwedischen Radiosinfonieorchester von 1956 bis 1978 und seine späteren Erfolge mit Alben wie „Jazz at the Pawnshop“ (1977) machten ihn zu einer lebenden Legende. 

Gustaf Sjökvist (1943-2015) war weit mehr als nur ein Organist - er war ein Universalmusiker, der als Dirigent, königlicher Hoforganist und Chorleiter eine zentrale Rolle im schwedischen Musikleben spielte. Nach seinem Studium bei Karl Münchinger war er von 1967 bis 1981 Domkantor an der Stockholmer Kathedrale und übernahm 1981 das Amt des königlichen Domorganisten. Von 1986 bis 1994 leitete er den renommierten schwedischen Rundfunkchor und wurde 1988 Mitglied der Königlichen Schwedischen Musikakademie, der er ab 2013 als Präsident vorstand. 

Gustaf Sjökvists musikalische Vielseitigkeit und sein tiefes Verständnis sowohl für klassische als auch für zeitgenössische Musik machten ihn zum idealen Partner für Arne Domnérus‘ visionäres Projekt. Seine Fähigkeit, die majestätische Orgel der Spånga- Kirche sowohl als rhythmisches Fundament als auch als melodischen Partner einzu- setzen, war entscheidend für den Erfolg von „Antiphone Blues“, denn dadurch ist es mehr als nur ein Musik-Album - es ist ein spirituelles Statement. Die ungewöhnliche Instrumentierung von Altsaxofon und Pfeifenorgel schafft eine Klangwelt, die sowohl erdverbunden als auch himmlisch anmutet. Das Repertoire spannt einen faszinie- renden Bogen von traditionellen schwedischen Kirchenliedern über afroamerikanische Spirituals bis hin zu Duke Ellington- Kompositionen und klassischen Werken von Schumann und Vivaldi. Das Tracklisting umfasst Stücke wie „Nobody Knows the Trouble I‘ve Seen“, „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“, Schumanns „Träumerei“, Ellingtons „Come Sunday“ und Vivaldis „Largo” aus dem Konzert in C-Dur RV 176. Diese Auswahl zeigt Arne Domnérus‘ und Gustaf Sjökvists gemeinsame Vision: die universelle Sprache der Musik zu nutzen, um spirituelle und emotionale Wahrheiten zu vermitteln, die alle kulturellen und stilistischen Grenzen überschreiten. 

Was „Antiphone Blues“ so außergewöhnlich macht, ist die Art, wie beide Musiker ihre Instrumente als gleichberechtigte Partner behandeln. Arne Domnérus spielt nicht einfach über eine Orgelbegleitung, vielmehr entsteht ein echter Dialog zwischen den Instrumenten. Seine improvisatorischen Fähigkeiten kommen besonders in den Jazz-Standards zur Geltung, während er bei den Spirituals und klassischen Bearbeitungen eine bemerkenswerte melodische Sensibilität zeigt. 

Gustaf Sjökvists Orgelarbeit ist ebenso beeindruckend in ihrer Zurückhaltung wie in ihrer Kraft. Er versteht es, die majestätischen Möglichkeiten der Kirchenorgel zu nutzen, ohne Arne Domnérus‘ Saxofon zu übertönen. Besonders bemerkenswert ist seine Fähigkeit, rhythmische Stabilität zu bieten, während er gleichzeitig harmonische Farbtupfer setzt, die jedem Stück eine einzigartige emotionale Tiefe verleihen. Das Titelstück „Antiphone Blues“ selbst ist ein Meisterwerk der Improvisation und Komposition. Hier verschmelzen liturgische Traditionen mit der Blues-Harmonik zu etwas völlig Neuem - einer Musik, die sowohl weltlich als auch sakral ist, sowohl traditionell als auch innovativ. 

Das Album hat seit seiner Veröffentlichung einen bemerkenswerten kulturellen Einfluss ausgeübt. Es wird regelmäßig in „Top 10“-Listen der besten audiophilen Aufnahmen aller Zeiten geführt und dient als Referenz für High-End-Audiosysteme weltweit. Die vorliegende 50th Anniversary Edition würdigt nicht nur ein Meisterwerk der Aufnahmetechnik, sondern auch eine einzigartige künstlerische Vision, die Jazz, Spiritualität und klassische Musik auf eine Weise verbindet, die bis heute ihresgleichen sucht. Auch heute noch ist „Antiphone Blues“ ein unvergleichliches Hörerlebnis, das beweist, dass wahre Musikkunst zeitlos ist und alle Kategorisierungen hinter sich lassen kann. Es ist weder reiner Jazz noch reine Kirchenmusik, sondern etwas komplett Neues. 

Die technische Perfektion der Aufnahme sollte dabei nicht über die musikalische Substanz hinwegtäuschen, denn die Performance von Arne Domnérus und Gustaf Sjökvist ist keine bloße Demonstration audiophiler Möglichkeiten, sondern ein zutiefst bewegendes künstlerisches Statement über die universelle Kraft der Musik, verschiedene Welten zu verbinden.

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Platte Arne Domnérus & Gustaf Sjökvist – Antiphone Blues (AudioNautes Recordings) im Test, Bild

Fazit

KategoriePlatte
ProduktArne Domnérus & Gustaf Sjökvist – Antiphone Blues
HerstellerAudioNautes Recordings
Preis0 Euro
Getestet vonRalf Henke
Vorheriger Test

Einflussreich - Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

Nächster Test

Gegenbewegung - Tonabnehmer OTTA Mandolin

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Ralf Henke
Redakteur / Tester

Ralf Henke


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