Kopfhörer Warwick Acoustics Aperio im Test, Bild
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Einzeltest > Kopfhörer > 06.02.2025

Über den Wolken

Jawohl, jetzt sind sie vollends durchgeknallt. Es ist ja nicht so, dass sich die Testgeräte in der LP geradewegs in Richtung Budget-HiFi entwickeln würden aber das hier, das ist doch wohl drüber. Oder?

Kopfhörer Warwick Aperio

Der Elefant im Zimmer
Reden wir zunächst über das Unvermeidliche, dann haben wir das vom Tisch: den Preis. Wir haben es hier mit eine Kombination aus Kopfhörer, Speiseteil, Vorverstärker und D/A-Wandler zu tun, die aktuell 34000 Euro kostet. Wer sowas kaufen soll? Das ist nicht schwierig zu beantworten: Menschen, die eine perfekte Musikwiedergabe wollen, aber nicht bereit sind, sich ihr Domizil mit kühlschrankgroßen Lautsprechern zuzustellen und eine Klimaanlage einzubauen, um die Abwärme der Röhrenverstärker loszuwerden. Oder, und der Fall tritt vermutlich öfter ein: Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der lebenslang überzeugte Highender später im Leben mehr oder weniger freiwillig in eine kleinere Wohnung umzieht, in die das liebevoll gehegte Hornsystem einfach nicht hineinpasst. Und mit dessen Betrieb die dann vermutlich vorhandenen Nachbarn auch nicht recht einverstanden wären. Wem Wiedergabequalität am Limit wichtig ist, der hat in dieser Situation nicht allzu viele Möglichkeiten. Ein auf die Spitze getriebenes Kopfhörerkonzept ist eine davon, deshalb schauen wir uns diesen Wahnsinn heute mal genauer an. Das Kopfhörersystem „Warwick Aperio“ ist keine brandneue Entwicklung, es ist schon ein paar Jährchen auf dem Markt und war auch schon bei den Kollegen von der (leider nicht mehr existenten) einsnull zu Gast, wobei der Fokus seinerzeit auf den digitalen Fähigkeiten der Irrsinnslösung lag.  

Der Hersteller
Warwick Acoustics ist ein relativ junger, im Herzen Großbritanniens (In Warwickshire) ansässiger Hersteller mit ein paar großen Visionen: Ein Standbein des Unternehmens zum Beispiel ist der höchstwertge Car-Audio-Bereich. Hier arbeitet man über den gesamten Frequenzbereich mit einer Vielzahl von elektrostatischen Wandlersystemen, die dank einer hochkomplexen Ansteuerung einen nie dagewesenen Sound im Auto ermöglichen sollen. Das scheint noch ein bisschen Zukunftsmusik zu sein, denn außer einer hauseigenen Pressemitteilung gibt’s davon noch nicht viel im Netz zu entdecken. Was allerdings Realität ist: die dazu passende elektrostatische Wandlertechnologie. Die nämlich steckt in den drei hauseigenen Kopfhörermodellen, von denen der Aperio selbstverständlich das Topmodell bildet.  

Physis
Das Aperio System erstaunt schon bei der Anlieferung: Es steckt nämlich in einem voluminösen und gewichtigen „Überseekoffer“ der Marke Pelicase. Darin stecken neben dem eigentlichen Kopfhörer und dem Verstärker jede Menge Kabel, die der Hersteller eigens für die optimale Verbindungsqualität in diesem System und drum herum geschaffen hat. Das Ganze macht durchaus den Eindruck, als wäre es dafür konzipiert, von einer Drohne beim Kunden zuhause abgeworfen zu werden, auch bei nennenswerter Flughöhe dürfte da nichts Schaden nehmen.  

Der Hörer
Der Aperio ist, wie gesagt, ein elektrostatischer Kopfhörer.

Kopfhörer Warwick Acoustics Aperio im Test, Bild
Mit 400 Gramm nicht zu schwer, sehr gut gefertigt und klanglich vom anderen Stern: der Aperio-Hörer
Und zwar ein „richtiger“, der mit Hochspannung (1800 Volt) betrieben wird. Diese Technologie ist bei Kopfhörern ziemlich selten, die Modelle von Stax zum Beispiel haben es mit dieser Technik zu Ruhm und Ehre gebracht. Aus diesem Grund kann der Aperio auch nicht an einen x-beliebigen Kopfhörerverstärker gestöpselt werden, er braucht eine spezielle Stromversorgung. Angeschlossen wird er über ein Spezialkabel mit zwei piekfeinen vierpoligen Lemo-Verbindern aus der Schweiz. Sie transportieren nicht nur das Signal (selbstverständlich symmetrisch), sondern auch die Hochspannung. Der Hörer ist ausgezeichnet verarbeitet, passt mir allerdings nicht perfekt. Einerseits ist mein Dickschädel das Äußerste, was man dem Aperio zumuten kann, andererseits tendiert er ein bisschen dazu, nach vorne zu rutschen. Wie gesagt: Das mag mit meiner Kopfform zusammenhängen und kann bei Ihnen ganz anders sein. Die feinen Lederpolster sind gelocht, man schwitzt sehr wenig unter dem Hörer. Der Druck auf die Ohren ist relativ hoch, man strebt einen möglichst dichten Abschluss zum Kopf an. Trotzdem bekommt man von Umgebungsgeräuschen reichlich mit, die Membranen stellen in dieser Hinsicht keinerlei Hindernisse dar.  

Bedienung und Ausstattung
Ohne die hauseigene Elektronik geht beim Aperio nichts. Der standesgemäß edel gefertigte Flachmann im HiFi-Gardemaß gibt in Sachen Bedienung keine großen Rätsel auf.
Kopfhörer Warwick Acoustics Aperio im Test, Bild
Dezent und edel: Die Optik des Steuergerätes darf als sehr gelungen gelten
Der Drehknop links schaltet zwischen den insgesamt sechs Eingängen um, von denen immerhin zwei zur analogen Sorte gehören. Daneben gibt’s ein kleines, aber feines Farbdisplay fürs Nötigste, mittig sitzt der rastende Lautstärkesteller. Rechts finden sich die beiden Anschlussbuchsen für den Hörer, ganz außen gibt’s zwei Kippschalter für Betriebsbereitschaft und die Umschaltung zwischen Kophörer- und Vorverstärkerbetrieb. Rückseitig finden sich die analogen Anschlüsse im Cinch- und XLR-Format, bei den Eingängen kann man die Empfindlichkeit umschalten. Digital geht’s via, USB-, koaxial S/PDIF und AES/EBU rein. Hinzu gesellt sich eine Netzwerkbuchse, die dem Gerät Zugriff auf Medieninhalte im Hausnetz ermöglicht – aber nur, wenn man irgendwo eine Roon-Instanz laufen hat. All das sollte für den anspruchsvollen Musikhörer mehr als genug sein.  

Elektronisches
Ohne die hauseigene Elektronik geht beim Aperio nichts. Der standesgemäß edel gefertigte Flachmann im HiFi-Gardemaß beinhaltet die Hochspannungsversorgung für den Hörer, einen leistungsfähigen Vorverstärker, einen sehr flexiblen D/A-Wandler und sogar einen Streamer. Schade, dass kein Platz mehr für eine feine Phonovorstufe war, was eine für dieses Magazin passende Anlage auf Top-Niveau noch um eine Komponente kleiner gemacht hätte. Das hätte sich durchaus gelohnt, weil Warwick in dem Gerät ziemlich konsequent auf eine Trennung der analogen und digitalen Signalverarbeitung setzt. So gibt es sogar unterschiedliche Laustärkesteller für beide Signaldomänen. Unter dem Gehäusedeckel verstecken sich zunächst gleich vier Computerlüfter der besseren Art, die in der Tat fast unhörbar agieren. Was man vergeblich sucht: ein Netzteil. Das sitzt nämlich in einem ordentlich schweren Zusatzkästchen, was auf eine klassische Transformatorlösung schließen lässt. Elektronisch hat sich der Hersteller nicht lumpen lassen, der Komplexitätsgrad im Gerät ist hoch. Drei große Platinen bestimmen das Bild. Die Hauptplatine beherbergt zum Beispiel den D/A-Wandlerteil, bei dem gleich zwei Chips vom Typ ES9028 Pro zum Einsatz kommen. Jeder der beiden enthält gleich acht separate Wandler, kann Auflösunge bis an die Grenze des Machbaren und dekodiert natürlich auch DSD-Signale mit bis zu vierfacher Geschwindigkeit. Ebenfalls auf dieser Platine: Zwei Steckmodule, die genau auf den mitgelieferten Kopfhörer eingeschossen sind. Dort findet ein rein analoges Equalizing statt, die dem Endergebnis zu maximaler Linearität verhilft. Das Gerät fungiert zudem als leistungsfähiger rein analoger Vorverstärker. Die potenten Ausgangsstufen sind ausgerechnet mit integrierten Kopfhörerverstärkerchips aufgebaut. Die allerdings haben sich schon andernorts für diesen Job sehr bewährt. Zwei Platinen bilden den kanalgetrennten Verstärker für den elektrostatischen Hörer. Hier wird auch die Hochspannung für die Wandler erzeugt, auch das geschieht kanalgetrennt.  

Klang
Okay, dann wollen wir mal Musik hören mit diesem Irrsinns-System. In Erwartung klanglicher Größe wählte ich feinstes Stöffchen als Zuspieler: DS Audio DS-003 an meinem nichtkommerziellen Röhrenetzerrer. Bewusst entschied ich mich für nicht ganz einfaches Material zu Beginn: John Coltranes Erfolgsalbum „A Love Supreme“. Es ist nicht immer ganz einfach, einem Motiv aus lediglich vier Tönen 37 Mal am Stück zuzuhören, aber ich ahnte so etwas: Das Warwick-System erstickt jede Idee von schnöder Repetition im Keim. Das, was da von dem fast 60 Jahre alten Album kommt ist so transparent, detailliert und durchsichtig, das ist in vielerlei Hinsicht maßstabsetzend. Das System lässt den Zuhörer derart tief in die Strukturen der Musik eintauchen, es fördert eine solche Detailfülle ans Licht, das lässt sich ähnlich nur mit großen Hornsystemen erreichen. Elektrostaten sind pegelsensitiv? Das Aperio-System nicht. Es spielt so laut und unkomprimiert, wie es bei Beibehaltung der Gesundheit nur möglich ist. Einzig bei der puren Schlagkraft ganz unten im Frequenzkeller mag hier und da noch etwas mehr gehen, sonst aber klingt die Kombi schlicht perfekt. Je intimer die Atmosphäre, desto glaubwürdiger der Klang: Die Hotelzimmergroßtat der Herren Cocker und Gonzales hinterlässt einen einmaligen Live-Eindruck, Esbjörn Svenssons spätes Solowerk ist trockenen Auges nicht durchhörbar. Ganz, ganz großer Sport.


Fazit

In Sachen Transparenz, Präzision und Ausgewogenheit setzt dieses System Maßstäbe und gehört eigentlich als Vergleichsnormal zu jedem Hörtest herangezogen.

KategorieKopfhörer
ProduktAperio
HerstellerWarwick Acoustics
Preis34000 Euro
Getestet vonHolger Barske
Vorheriger Test

Einflussreich - Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

Nächster Test

Zauberkästchen - Netzvorschaltgerät Efuse FB

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Holger Barske
Redakteur / Tester

Holger Barske


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