Lautsprecher Martion Aeonor im Test, Bild
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Einzeltest > Lautsprecher > 06.05.2025

Der mit dem Trichter tanzt

Vor ungefähr 21 Jahren versprach Heinrich Amand Basilius Martion mir, „demnächst“ mal mit einem neuen Lautsprecher vorbeizukommen. Er hat Wort gehalten.

Lautsprecher Martion Aeonor

Vorgeschichte
Diese Ankündigung ist zu einem Running Gag zwischen uns geworden. Immer, wenn wir uns in den Jahren getroffen haben, hat Heiner sein Versprechen erneuert, dann haben wir beide herzlich gelacht und sind zum Tagesgeschäft zurückgekehrt. Unlängst allerdings hat der mittlerweile knapp 77-jährige Lautsprecherwunderknabe Ernst gemacht und hat sein Modell „Aeonor“ bei uns im Hörraum installiert, obwohl es eigentlich nicht besonders gut für die Räumlichkeit geeignet ist. Das Ergebnis allerdings ist nicht weniger als umwerfend und qualifiziert sich wie kaum eine andere Lösung als Investition für Leute, die schon alles probiert haben und die eine, die große, die letzte Wiedergabemaschinerie suchen. Und die das nötige Kleingeld haben, denn der Spaß geht bei etwa 75000 Euro los. Das obere Ende ist, wie immer bei diesen hoch kundenspezifischen Konstruktionen, kaum abzusehen. Wie bei jedem extremen HiFi-Produkt, kann man auch bei Martion Mann und Maschine kaum voneinander trennen. Wer den quirligen und umtriebigen Langzeit- Berliner (geboren wurde er in Fulda) kennenlernt, der weiß, dass der Mann gar nicht anders kann als Außergewöhnliches hervorzubringen. Kreativität rinnt aus jeder Pore seiner momentan sieben Lautsprechermodelle: wer kommt schon darauf, einen zylinderförmigen Subwoofer „i-mer“ zu nennen? Der mit einem Abschluss in Studiotechnik ausgestattete Martion qualifiziert sich seit Jahrzehnten als Sound-Ausstatter auch exklusivster Clubs, auch Promi-Unternehmer Richard Branson hat er im vergangenen Jahr mit einer individuellen Sound- Lösung beglückt.   

Konzeptionelles
Martion ist glühender Verfechter des Hornprinzips, er hält maximalen Wirkungsgrad für einen der entscheidenden Faktoren, die die Klangqualität eines Lautsprechersystems definieren.

Lautsprecher Martion Aeonor im Test, Bild
Die Aeonor arbeitet bereits ab 100 Hertz als perfekte Punktschallquelle – das dürfte einmalig sein
Das wird bei keinem System so deutlich wie beim hier zur Debatte stehenden Topmodell „Aeonor“. Dabei handelt es sich um eine Dreiwegelösung, die mit einer eigens dafür konzipierten Aktivelektronik geliefert wird. Das Lautsprechersystem besteht pro Kanal aus einem Eckhorn für die Frequenzen zwischen etwa 25 und 100 Hertz und einem koaxialen System aus zwei gewaltigen Kugelwellenhörnern, die den Frequenzbereich da rüber abdecken. Martion nennt Paul W. Klipsch als Vorbild, seine ersten Begegnungen mit einem Klipschorn haben seine Art Lautsprecher zu bauen nachhaltig geprägt. Martions Eckhorn allerdings ist mit einem potenten 18-Zoll-Treiber ausgestattet und ist mit einem Wirkungsgrad von gewaltigen 105 Dezibel tatsächlich der leiseste Teil des Systems. Mangels geeigneter Ecken mussten wir bei der Aufstellung in unserem Hörraum etwas improvisieren, so landeten die Basshörner Rücken an Rücken in der Mitte an der Wand, wobei eine schwere sandgefüllte Platte als Trennung fungierte und die fehlende Wand simulierte. Klingt ungünstig, hindert das System in der Praxis aber nicht daran, ein absolut umwerfendes Fundament zu produzieren. Die gewaltigen Koaxialsysteme residieren normalerweise auf den Eckhörnern – nur halt bei uns nicht. Zum Glück hatte ich noch ein Paar JBL-Kino-Basssysteme, die sich perfekt als Ständer für die großen Trichter eigneten. Das zwischen 100 und 600 Hertz agierende Tiefmitteltonhorn ist ein gewaltiges 110 Zentimeter durchmessendes Monster, welches standesgenäß von einem 15“-Treiber befeuert wird. Jener steckt in einem rückseitig angebrachten Rohr und macht seinen Job im Verborgenen. Das Horn selbst besteht aus einer Kunststoffschale, die auf der Rückseite mit sandgefüllten Schläuchen stabilisiert wird, die mittels elastischen Klebers montiert werden. Funktioniert bestens, sieht aber gewöhnungsbedürftig aus. Kein Problem – gegen Aufpreis gibt’s ein zweite „Hornschale“, die die Rückseite abdeckt.   

Ab 600 Hertz übernimmt ein großer Druckkammertreiber mit zwei Zoll durchmessendem Schallaustritt das akustische Zepter. Er arbeitet auf einen Kugelwellentrichter mit 54 Zentimeter Durchmesser, der genau so bedämpft wird wie sein großer Bruder. Abermals bewegen sich die Wirkungsgrade am Rande des phyiskalisch Machbaren: 112 Dezibel bei einem Watt in einem Meter Abstand beim großen Horn, 116 beim „kleinen“.   

Bemerkenswert finde ich, dass das System keinen Superhochtöner braucht und der Zwei-Zoll-Treiber problemlos in der Lage ist, bis 20 Kilohertz mitzuspielen. Übrigens stammen alle Treiber aus europäischer Fertigung. Jeder davon ist eine Sonderanfertigung für das Wilmersdorfer Unternehmen, zudem wir in der hauseigenen Werkstatt noch Hand an die Treiber gelegt. Martion sagt: „In erster Linie bin ich Mechaniker“. Seine Lautsprecher sind das Ergebnis jahrzehntelangen Drehens an allen möglichen Schrauben, die dem Lautsprecherentwickler zur Verfügung stehen. Wie weit er dabei gekommen ist erstaunt mich immer wieder, wenn sich mir mal die Gelegenheit bietet, einen Martion-Lautsprecher zu hören.

Elektronik
Um die Vorteile des extremen Wirkungsgrades auch bis zum Hörer hinüberzuretten ist Aktivbetrieb unerlässlich.
Lautsprecher Martion Aeonor im Test, Bild
Diese Gegentaktendstufe versorgt einen Subwoofer mit 200 Watt Leistung
Der in Hannover beheimatete Diplom- Tonmeister Christian Schulz baut seit 40 Jahren die für solche Wirkungsgradextreme konzipierte Elektronik. Bei den Verstärkern handelt es sich um Gegentaktendstufen mit 200/80/6 Watt Leistung für die einzelnen Frequenzbereiche. Jeder Verstärker ist eine komplette Eigenkonstruktion, spezialisiert auf den jeweiligen Einsatzbereich. Auch die aktive Frequenzweiche stammt von Schulz. Die monophon aufgebaute Konstruktion arbeitet rein analog und ist weitgehend mit integrierten Operationsverstärkern realisiert. Zahlreiche Parameter sind einstellbar, was für die Anpassung des Systems an seinen Einsatzort unerlässlich ist. Die Elektronik, die Martion bei uns einsetzte hatte noch kräftigen Prototypencharakter, im Falle eines Falles gibt’s das natürlich auch „in schön“.  

Setup
Aufbau und Inbetriebnahme der Aeonor erledigt der Meister höchstselbst. Er rückt mit Messmikro und Notebook an und verändert die Abstimmung, bis es passt – unter Berücksichtigung der Messergebnisse wie des Kundengeschmacks. In unserem Hörraum hat er eine messtechnisch sehr geradlinige Abstimmung gewählt.  

Klang
Türen sind dazu da, um mit ihnen ins Haus zu fallen – also machen wir das einfach mal: Was Martions Aeonor-System bei uns im Hörraum anrichtet ist ohne Parallele. Was auch immer wir den XLR-Eingängen der Aktivweiche an Musikmaterial überantworten, das System setzt es auf unvergleichlich energische, farbige und brachial dynamische Art und Weise in pures Adrenalin um. Ich sitze ziemlich oft vor wirklich großen und teuren Anlagen und denke mir: „Prima, das kann was, da hört man, warum’s so teuer ist“. Aber das hier, das ist etwas ganz anderes. Aeonor reißt auch den völlig unbedarften Hörer binnen Sekunden aus der Lethargie. Bei aller messtechnischen Linearität klingt es satt, vollmundig, warm und extrem transparent. Selten habe ich die Vorteile des Hornprinzips so überzeugend um die Ohren gehauen bekommen wie hier. Und ich finde es absolut erstaunlich, wie souverän die beiden noch halbwegs kompakten Eckhörner auch abartig tiefe Frequenzen in den Hörraum pumpen, ohne die geringsten Anzeichen von Unschärfe oder Erschöpfung zu zeigen. Der Sound im Bass ist vielleicht noch mit dem eines PA-Systems bei einem Musikfestival draußen zu vergleichen. Das hier kann natürlich nicht so laut, aber tiefer. Die beiden Trichter bieten ein unfassbar detailliertes und zutiefst delikates Klangbild. Was das hier an Details zutage fördert scheint mir auf anderem Wege schlicht nicht machbar. Egal, ob’s eine Jazz-Trompete, ein Klavier, ein Trommelfell, eine Les Paul oder eine Stimme ist – hier wird jeder Ton zum Fest. Das System wird auch in diesem Jahr parallel zur High End schräg gegenüber vom Münchener MOC für Interessierte zu erleben sein. Unbedingt hingehen! 


Unterm Strich...

Martions Aeonor-System zählt ohne Zweifel zu den umwerfendsten Musikwiedergabegerätschaften, die sich für Geld und gute Worte erstehen lassen.

KategorieLautsprecher
ProduktAeonor
HerstellerMartion
Preis75000 Euro
Getestet vonHolger Barske
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Holger Barske
Redakteur / Tester

Holger Barske


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