Tonabnehmer Jico Clipper im Test, Bild
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Einzeltest > Tonabnehmer > 06.05.2025

Das etwas andere MM

Der japanische Hersteller Jico hat sich über viele Jahre hinweg einen ausgezeichneten Ruf als Hersteller feiner Ersatznadeln unter anderem für Shure-Tonabnehmer gemacht. Und jetzt das.

Tonabnehmer Jico Clipper

Hintergrund
Der US-Hersteller Shure hat das Tonabnehmergeschäft im Jahre 2018 leider aufgegeben. Was aus Konzernsicht vermutlich die richtige Entscheidung war, Tonabnehmer werden halt lange nicht mehr in dem Umfang benötigt, wie es in der analogen Hochzeit der Fall war. Was das japanische Unternehmen Jico, dass zum nicht ganz kleinen Teil von der Produktion von Shure- Ersatznadeln lebte, vor nachvollziehbare Problem stellte. Ein logischer und nachvollziehbarer Schritt war der Beginn der Produktion eigener Tonabnehmer. Der erste Schritt in diese Richtung war die Entwicklung eigener Abtaster auf Basis des Shure M44. Das M44- 7 zum Beispiel galt als einzig legitimes Konkurrenzprodukt zu den Concorde- Abtastern von Ortofon in der DJ-Welt. Jico setzt die Tradition mit den Modellen J44A7 und J44D bis heute fort. Dazu gesellt sich ein ziemlich unüberschaubarer Variantenreichtum an Austauschnadeln, die ein ganz eigenes Universum darstellen, in das ich bis dato nur den kleine Zeh hineingesteckt habe. Gebt mir noch ein bisschen Zeit, da gibt’s viel zu entdecken, ich arbeite dran.   

Der Proband
Mit dem Modell „Clipper“ hat Jico im vergangenen Jahr erstmals einen praktisch gänzlich eigenen MM-Abtaster vorgestellt und dabei an vielen Stellen neue Pfade beschritten.

Tonabnehmer Jico Clipper im Test, Bild
Auch die Verpackung des Clipper ist etwas Besonderes


Das beginnt schon bei der Formgebung des für 600 Euro käuflichen Abtasters: Er sieht ein bisschen aus, wie eine von der Nautilus inspirierte Entwicklung von Kapitän Nemo aus „20000 Meilen unter dem Meer“. Am ehesten erinnert das schwarze Konstrukt mit SME-Bajonett noch an die Unibody-SPUs von Ortofon. Eine der vielen Besonderheiten am Cliper ist, dass es neben dem höchst interessanten serienmäßigen Nadeleinschub auch M44- kompatible Modelle aufzunehmen in der Lage ist. Womit dem Besitzer eine gewaltige Spielwiese zur Verfügung steht, wo es so exotische Dinge gibt wie die „Morita“- Modelle mit Nadelträgern aus verschiedenen Hölzern.

Die M44-Einschübe sehen in dem allseits gerundeten Body des Clipper ein wenig „eckig“ aus, doch das passt irgendwie zum charmanten Charakter dieses ganz besonderen Abtasters. Der serienmäßige Nadeleinschub passt da optisch deutlich eleganter und bringt ebenfalls technische Besonderheiten mit: Sein Nadelträger ist nämlich ein Aluminiumrohr der ganz besonderen Art: Es ist nicht nur S-förmig gebogen, sondern verläuft zur Spitze hin auch noch konisch. Das reduziert die bewegte Masse an der Spitze, was das Beschleunigungsverhalten verbessert. Als Nadel kommt ein konsich geschliffener Naturdiamant zum Einsatz. Eine Ersatznadel gibt’s bei uns übrigens für knapp 200 Euro. Das ist nicht billig, aber weit unterhalb dessen angesiedelt, was die meisten MM-Produzenten für so etwas ansetzen – bei denen ist eine kaputte Nadel meist kaum günstiger als ein kompletter Tonabnehmer. Zum Generator des Clipper ist nicht viel bekannt. Fest steht, dass der Abtaster ordentlich Pegel liefert. Der Hersteller sagt: 5 – 8 Millivolt, nennt aber die Rahmenbedingungen dafür nicht. Es will mit den standardmäßigen 47 Kiloohm abgeschlossen werden und fühlt sich bei einem Auflagegewicht von zwei Gramm am wohlsten. Mit einer Nadelnachgiebigkeit von 4,6 μm/ mN lateral und 5,1 μm/mN vertikal gehört es zu den härter aufgehängten Abastern, ein schwerer und stabiler Arm ist also kein Fehler. Mit 16,7 Gramm ist es nicht allzu schwer und bewegt sich noch unterhalb dessen, was man von Ortofons SPUs gewohnt ist.  

Gehäuse
Wir müssen noch über das Gehäuse des Clippers reden. Als Material gibt der Hersteller eine „Ultraviolet Curable Resin Mixture“ an, was nichts anderes als eine verklausulierte Formulierung dafür ist, dass das Ding aus dem 3D-Drucker stammt.
Tonabnehmer Jico Clipper im Test, Bild
Der serienmäßige Nadeleinschub passt perfekt zum Gehäusedesign
Und zwar aus einem der modernen, bei dem nicht mit aufgeschmolzenem Filamenten gearbeitet wird, sondern mit UV-aushärtendem Harz. Die Oberflächenqualität ist so lala und wirkt für die Preisklasse eigentlich ein wenig zu improvisiert.

Eine weitere Besonderheit des Cliper ist sein Fingertip: Er ist nämlich nicht, wie gemeinhin üblich, als „Rechtsausleger“ konzipiert, sondern als schnittige „Finne“ zentral über dem Abtaster. Das hat optisch seinen Reiz, ist bei der Bedienung aber ziemlich gewöhnungsbedürftig. Der Hersteller argumentiert die Anordnung mit der symmetrischen Gewichtsverteilung. Da Abtaster und Headshell quasi ein Teil sind, muss man sich beim Einbau keine Gedanken um die korrekte Geometrie machen. Wenn’s mit einem anderen Abtaster gepasst hat, dann tut’s das auch hier. Das ist eine der Segnungen, wenn man es mit einem Produkt mit Genen in der DJ-Technik zu tu hat.

Die Montage am 12“-Schick erwies sich denn auch als völlig unproblematisch und ich war sehr gespannt, wie sich die ersten Töne des Clipper darstellen würden. Auf dem Teller liegt der Erstling der britischen Minimalismusmeister „TheXX“ und ich bin durchaus daran gewöhnt, dass die Scheibe untenherum ordentlich schiebt. Aber das hier, das ist eine andere Dimension. Das ist Clubsound. Schwarz, fett und prägnant drückt das Clipper das elektronische Fundament in den Raum. Die Stimmwiedergabe überrascht mich. Mit der männlichen Gesangsstimme tut sich das Clipper leichter, der gute Jamie steht schön prägnant und gut abgezirkelt im Raum. Der Dame fehlt‘s minimal an Luft obenherum, aber das ist nicht weiter dramatisch. Tatsächlich erinnert das Clipper in vielerlei Hinsicht an das Ortofon SPU GTX S, um das es an anderer Stelle in diesem Heft geht. Es hat auf alle Fälle diese beeindruckende Schubkraft und die MM-typische Geschlossenheit. Lasst uns mal kurz, nur so aus Neugier, den berühmten SAS/B-Nadeleinschub mit Bornadelträger probieren. Ganz anders. Hintergründiger, viel zarter, zurückhaltender. Wie zu erwarten war: Hier tut sich eine ganze Welt an Tuningmöglichkeiten auf – die eruieren wir gerne mal zu einem andere Zeitpunkt. Bis dahin erfreuen wir uns am supersatten Sound des Clipper im Originaltrimm.


Unterm Strich...

Die trauen sich was! Jico holt den Club ins Wohnzimmer und präsentiert mit dem Clipper einen überaus voluminös tönenden Abtaster mit Charakter, der nicht nur exotisch aussieht, sondern auch per Nadeleinschub die Welt zum Klangtuning sperrangelweit öffnet.

KategorieTonabnehmer
ProduktClipper
HerstellerJico
Preis600 Euro
Getestet vonHolger Barske
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Holger Barske
Redakteur / Tester

Holger Barske


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