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Einzeltest > Tonabnehmer > 11.09.2025

Wow

Ortofon hatte ich, offen gestanden, ein wenig aus den Augen verloren. Dabei habe ich von keinem Tonabnehmerhersteller mehr unterschiedliche Tonabnehmer besessen, nur aktuell keinen. Das wird sich jetzt ändern.

Tonabnehmer Ortofon MC X20

Es wurde Zeit. Nach gut zehn Jahren Laufzeit stellt Ortofon seine Quintet- Serie ein und knüpft auf einem neuen Niveau an die klassischen MC-10, MC-20 und MC-30 MCs an, die wenn man so will, eine ganze Ära geprägt haben. Natürlich hatte ich vor Jahrzehnten auch ein MC-10 mit dem passenden MCA-10 Headamp, mehr konnte ich mir damals nicht leisten, aber ich habe gerne damit gehört. Später kamen SPUs, OMs und diverse andere Ortofon Modelle hinzu. Die Quintet Serie hat meinen Weg nie gekreuzt, umso gespannter war ich jetzt auf die neue MC X-Serie. Ein schneller Blick auf Daten und Fakten ist bereits erstaunlich: Silberspulen, resonanzoptimiertes Gehäuse aus der Spritzgusstechnik, Einstieg schon bei 299 Euro was soll man daran nicht mögen?  

Entwicklung 
Peter Wieth Hjordt hat die Serie mit der Unterstützung einiger Ortofon Kollegen entwickelt. Hjordt besetzt bei Ortofon die Schnittstelle zwischen Marketing und Produktentwicklung und ist so ein perfekter Gesprächspartner für Menschen wie mich. Er schrieb mir, dass er zwar hohe Erwartungen an die Serie hatte, sie am Ende aber alle übertroffen fand. Das mag man als Aussage vom Hersteller nicht ernst nehmen. In diesem Fall kann ich seine Begeisterung aber nachvollziehen, denn ich hatte erst einmal keine Erwartungen und bin ob der Qualität des MC X20 geplättet. Über die Entwicklungsdauer konnte Hjordt nur eins sagen: „Sie war lang.“ Und ausführlich in allen Details. Das gilt gerade auch für ein kleines Helferlein, der so entscheidend für den Gesamtklang ist: den Gummidämpfer. Bekanntermaßen stellt Ortofon die Gummimischungen für seine Dämpfer selbst her und hat in den vergangenen Jahren wohl spannende Fortschritte gemacht. Isoliert betrachtet brächte das aber noch wenig, denn die Dämpfer müssen ja im Gehäuse mit dem Generator zusammen das gewünschte Ergebnis bringen: der Nadel zu möglichst ungestörter Arbeit verhelfen. Also wurde gemischt, getestet, gehört und dann wieder gemischt. Es scheint, dass die Mischung stimmt. Warum? Nur mit einer optimalen Dämpfung können die Bewegungen der Spulen und damit unerwünschte Vibrationen so kontrolliert werden, dass am Ende bessere Abtasteigenschaften und damit musikalische Präzision heraus kommt und das scheint mir hier doch sehr gelungen zu sein.  

Apropos Generator 
Ein Tonabnehmer ist ein diffiziles Objekt. Das Wissen und das Können, Tonabnehmer zu bauen, fällt nicht vom Himmel.


Gerade Kanten sind hier Mangelware. Und das „Made In Denmark“ darf man wirklich genau so verstehen: Ortofon macht praktisch alles selbst
In Europa gibt es zum Glück noch Firmen wie Ortofon, die den manchmal übermächtig wirkenden Japanern die Stirn bieten. Für einige Zeit schien sich bei den einfacheren Ortofon MC Tonabnehmern nicht allzu viel zu tun. Doch damit ist nun Schluss, denn der Generator dieser Serie wurde von Grund auf neu entwickelt und nun kann Ortofon gewissermaßen zum Angriff auf die Konkurrenz blasen. Hilfreich dabei ist, dass Ortofon alles, was es für einen Tonabnehmer braucht, selbst herstellen kann - inklusive der Spulen. Für die MM-Tonabnehmer wird das maschinell erledigt, die MC-Spulen werden mit Hilfe einer Vorrichtung von Hand gewickelt. Im Fall der MC X-Serie sind es tatsächlich Silberspulen geworden. Darum muss man jetzt nicht das Riesengeschrei machen, sie sind etwas teurer und durchaus kniffliger zu wickeln als mit Kupferdraht. Doch der leicht erhöhte Aufwand ist alles andere als umsonst, wie wir hören werden. Um die Fertigung zu verbessern und zu vereinfachen, wurde das hintere Magnetjoch zusammen mit dem Polzylinder aus einem einzigen Werkstück gebaut. Das macht Sinn, denn alle Materialübergänge bieten Raum für Ungenauigkeiten. Insgesamt wurde die gesamte Produktion im Vergleich zur Quintet-Serie geschmeidiger gemacht. Dadurch muss, wenn die Systeme zusammengebaut werden, nichts mehr angepasst werden. Interessant finde ich auch die Wahl des neuen Magnetmaterials. Peter Wieth Hjordt nennt sie kontraintuitiv, weil Samarium Kobalt weniger effektiv als andere Magnetmaterialien ist. Es liegt in seinen Eigenschaften irgendwo zwischen dem allgegenwärtigen Neodym und dem klassischen Alnico. Immerhin ist es temperaturbeständiger als Alnico, was aber bei Tonabnehmern nicht so sehr ins Gewicht fallen sollte. Doch es hat weniger Magnetkraft und das ist der Grund, warum man sich bei Ortofon dafür entschieden hat. Denn so gelingt ihnen eine bessere Kanaltrennung, was man sofort hören kann: sauber, aber mit Eiern.   

Wie innen so außen 
Auffällig gestaltet ist das neue Gehäuse, das für alle vier Modelle identisch ist. Ok, zugegeben, das erkennt man von außen nicht, aber dafür bin ich ja da, um es zu beschreiben.

Alles dabei, natürlich auch der Torx- Schraubendreher. Die Verpackung ist übrigens bewusst einfach gehalten
Das Gehäuse war einer der ersten Ansatzpunkte von Peter Wieth Hjordt bei der Entwicklung der X-Serie. Er wollte eine festere Struktur und deshalb weg vom weichen Aluminium. Und obwohl es nicht per se magnetisch ist, ist es paramagnetisch, sprich es reagiert auf Magnetfelder und die haben wir ja bei einem Tonabnehmer. Bei Edelstahl kommt es auf die Legierung an, hier ist sie natürlich nichtmagnetisch. Edelstahl ist aber auch schwerer als Aluminium, also musste eine Spezialstruktur her, und so entstand die Wabenmatrix. Diese mit normalen Maschinen herzustellen, ist schwierig, zumal in Serie. Also entschied sich Ortofon für MIM, übersetzt Metal Injection Molding. Das ist ein Spritzgussverfahren, bei dem aus Metallpulver, in diesem Fall eben Edelstahl, und unbenannten Additiven ein Werkstück gesintert wird. Auch das erforderte aber den Bau eines Werkzeugs sowie weitere Produktionsschritte. Die so entstandene Wabenstruktur erhöht die Steifigkeit, minimiert Resonanzen und senkt das Gesamtgewicht. Am Ende bekommt das Gehäuse noch eine sogenannte PVD-Vakuum- Beschichtung zur Veredelung und Haltbarmachung der Oberfläche.  

Fein, feiner 
Die einzigen Unterschiede der vier Systeme liegen im Material des Nadelträgers und dem Nadelschliff. Nur das MC X40 bekam einen Bor-Nadelträger, der Rest arbeitet mit Aluminium. Das kleinste MC X10 hat eine gefasste elliptische Nadel, das MC X 20 einen nackten elliptischen Stein. Früher gab es beim MC-20 eine Fineline-Nadel auf Alu, dafür muss man heute das MC X 30 kaufen. Das große MC X40 schließlich arbeitet mit einer Shibata Nadel. Die Preise sind freundlich gestaltet: 299 Euro (X10); 499 Euro (X20); 699 Euro (X30); 999 Euro (X40). Das Auflagegewicht und der empfohlene Abschlusswiderstand sind mit 2 Gramm und 50 Ohm aufwärts identisch, ebenso die gesunden 0,4mV Ausgangsspannung und die 15mN dynamische Nadelnachgiebigkeit ist dieselbe wie früher, damit deckt man das Gros aller passenden Tonarme ab. Die alten Systeme hatten übrigens einen geringeren Innenwiderstand, ein geringeres Gewicht und eine geringere Ausgangsspannung.  

Klang 

Ich kann mich an den Klang meines alten Ortofon MC-10 nicht mehr genau erinnern. Was mir in den Sinn kommt ist, dass es kraftvoll aber durchaus auch feinsinnig geklungen hat. Und genau daran knüpft das MC X20 an, aber auf einem Niveau, das seine Preisklasse wenn nicht sprengt, so doch überspringt. Frisch aus der Box, an meine edle Air Tight Phonovorstufe mit ihrem MC-Transimpedanz-Vorvorverstärker geklemmt geht augenblicklich die Post ab. Einspielen? Braucht es wohl nicht. Wie oft passiert das denn? „Katy Lied“ von Steely Dan hat mir noch nie so viel Spaß gemacht. Ich stand mit dieser frühen Steely Dan Scheibe immer ein wenig auf Kriegsfuß, sie hatte nicht den Verfeinerungsgrad der späteren Alben ab Pretzel Logic und insbesondere ab Aja. Richtig und falsch zugleich. Ja, das ist ein Übergangsalbum. Und nein, ich hab sie immer mit den falschen Tonabnehmern abgespielt. Das MC20 ist nämlich auch (!) ein Rocker, ein waschechter, und jetzt checke ich die Qualitäten dieses Albums. Hier ist die rockige Seite von Steely Dan viel deutlicher ausgeprägt als später und das Ortofon holt sie heraus: Speed, Attacke, Groove – ist das schön, das ist ja wie Live. Und doch gleichzeitig entspannt, nicht so brutal in die Fresse wie bei manch anderem System mit Alu- Nadelträger. Es ist sehr schwer, so eine Balance hinzubekommen. Also höre ich eine echte Liveeinspielung und zwar eine der schier unzähligen Bill Evans Veröffentlichungen der letzten Jahre: Inner Spirit. Auf Nardis fällt mir wie immer sein so edler Anschlag, sein exquisiter Ton auf, selbst so kurz vor seinem Tod. Im Vergleich erreicht der Klang vielleicht nicht ganz die Geschmeidigkeit eines Systems mit Bornadelträger. Man kann, wenn man sich sehr konzentriert, den metallischen Anteil des Alunadelträgers hören. Aber das ist weder unangenehm noch ohne Vergleich wahrnehmbar und Meckern auf sehr hohem Niveau. Bei den feineren Schliffen und dem MC X40 mit seinem Bornadelträger wird sich das wohl dahingehend verspielen, dass die noch etwas feiner agieren dürften. Eine richtig gute Phonostufe ist übrigens angebracht, das MC X20 jedenfalls bringt erst dann alles zu Gehör, was es kann und das ist ungeheuer viel. Es verbindet Kraft mit Feinsinn, Farbe mit Dynamik und bringt zumindest bei mir die Gedanken an vermeintlich Besseres zum Schweigen. 

Mitspieler 

Plattenspieler: 
  •  Garrard 401 

Tonarm: 
  •  Schick 12 

Phonovorverstärker: 
  •  Air Tight ATE-2005 

Endverstärker: 
  •  Lavardin IS-X Reference 23 

Lautsprecher: 
  •  Greenwall Ivy 

Gegenspieler 

Tonabnehmer: 
  •  Koetsu Black  

Gespieltes 
  • Steely Dan: Katy Lied 
  • Bill Evans: Inner Spirit 
  • Average White Band: Cut The Cake 
  • Vieux Farka Touré Et Khruangbin: Ali  

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Fazit

Ortofon hat mit der X-Serie eine formidable Neuentwicklung hingelegt. So viel Klang fürs Geld gab´s selten und ich behalte meins einfach.

KategorieTonabnehmer
ProduktMC X20
HerstellerOrtofon
Preis499 Euro
Getestet vonChristian Bayer
Vorheriger Test

Einflussreich - Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

Logo LP:Magazin

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