Phonovorstufe Vertere Calon im Test, Bild
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Einzeltest > Phonovorstufe > 06.05.2025

Näher an der Musik

Manchmal bekommen wir Geräte zur Begutachtung, bei denen schnell klar wird, dass der Fokus nicht primär auf ihrem Preis liegen kann. Warum wird spätestens mit den ersten Takten der Vertere Calon deutlich.

Phonovorstufe Vertere Calon

Wir können, ja wir müssen sogar über den Wert der Dinge sprechen. Und dabei gibt es verschiedene Betrachtungsebenen, mindestens aber zwei. Da ist zum einen die Sachebene, also was habe ich da vor mir, was ist verbaut und was kostet das in etwa? Aber das ist etwas kurz gedacht, denn ein Hersteller muss ja bestimmte Margen einkalkulieren und in diese Kalkulation fließt viel mehr als der reine Materialwert ein. Außerdem kann man Dinge auf viele Arten und Weisen miteinander verbinden und abstimmen, wie das zum Beispiel ein Spitzenkoch tut. So übersteigt die Summe des Ganzen den vermeintlichen Wert der Teile bei weitem. Und da kommen die Entscheidungen eines Menschen zum Tragen, denn in einem Gerät wie der Calon steckt das Konzentrat eines Entwicklerlebens und das stand bei Touraj Moghaddam immer im Fokus der Musik.  

Der Mann und die Musik
Touraj Moghaddam ist ein analoges Urgestein, ein Entwickler, der die Szene seit Jahrzehnten prägt. Seine Urfirma Roksan wird für immer durch den Xerxes Plattenspieler in Erinnerung bleiben, der an guten Tagen kaum Konkurrenz hatte. Moghaddam hat einen persischen Familienhintergrund und wie so viele Menschen aus diesem Kulturkreis verwendet er nicht den heutigen Ländernamen Iran sondern bezieht sich auf das historische persische Staatsgebiet. Moghaddam bedeutet übrigens der Erste, Touraj „schnell, mutig, kraftvoll“. Roksan hatte er als erste Firma 1985 mutig, schnell und kraftvoll gegründet und erst 2011 endgültig verlassen. Spätestens ab da hat er seine Aktivitäten zu 100% auf die neue, 2006 gegründete Firma Vertere Acoustics konzentriert. Zu Beginn hat er sich den, wie er sie nennt, schwächsten Gliedern der Musikwiedergabekette angenommen und mit der Entwicklung von Kabeln begonnen. Bald kamen auch Plattenspieler, Tonarme, Tonabnehmer und Phonostufen hinzu. Die erste ihrer Art, passend Phono-1 benannt, kostete anfangs gerade mal 1200 Euro und war für die kleineren Dreher gedacht, denn er fand keine Phono, die ihm gefiel. Touraj meinte im Gespräch, dass er die Phono-1 eigentlich zusammen mit seinem HB-Netz- und Signalkabel gedacht habe, was aber kaum jemand ausprobiert hat, denn damit schnellt der Preis deutlich über 5000 Euro. Es dauerte ein Weilchen, bis die Calon kam und ich finde das offen gestanden sehr sympathisch. Bei Vertere wird nicht in Kategorien gedacht und dann für jede Preiskategorie ein Gerät designed. Zuerst brauchte er eine Kleine und nun war eine Große dran. Das wurde ihm klar, als er am RG-1 Plattenspieler, dem neuen XtraX Tonabnehmer und dem Pathfinder Tonarm arbeitete.  

Arbeitsteilung
Touraj ist Maschinenbauer, kein Elektroingenieur. Aber er versteht schon sehr gut, was in elektrischen Schaltungen vor sich geht und hat ein Gefühl dafür, was sie zum Funktionieren bringt oder wo eingefahrenes Denken an seine Grenzen stößt. Also zeichnet er jede Schaltung prinzipiell auf und überlässt dann dem entsprechenden Ingenieur die Detailumsetzung. Details gibt es hier so einige, aber ganz ehrlich, anhand derer wird man die Gesamtperformance des Geräts nicht annähernd erfassen können. Am Ende entscheiden sowieso die Ohren, aber dazu komme ich noch.  

Grundsätzliches

Calon ist ein gälisches Wort und wurde von einem Vertere Mitarbeiter vorgeschlagen.

Phonovorstufe Vertere Calon im Test, Bild
Gleich zwei Erdungsbuchsen und ein 3-stufiger Erdungsschalter. Die ist garantiert totenstill und fokussiert sich auf einen Eingang
Übersetzt bedeutet es Herz oder Nervenzentrum. Ein perfekter Name, wie ich finde. Die Schaltung der Calon ist OpAmp basiert, hervorragend abgeschirmt und speziell in Sachen Erdung so gut ausgeführt, dass man das kaum besser machen kann. Das war ohnehin eines der wichtigsten Entwicklungsziele von Moghaddam: möglichst große Störgeräuscharmut und die hat er erreicht. Und genau deshalb will er auch keinen symmetrischen Eingang haben, weil dann sein extrem gutes Erdungskonzept auf den Kopf gestellt werden könnte, denn es gibt keinen verbindlichen Standard, wie XLR-Stecker belegt werden. Ohnehin lässt sich laut Moghad dam auch trefflich darüber streiten, ob ein MC-Tonabnehmer denn wirklich eine symmetrische Quelle darstelle.  

Analoger Energieerhaltungssatz
Mitentscheidend finde ich, dass die 10db Grundverstärkung der Calon vor der RIAA- Korrektur, also im Eingang, um weitere 10 oder sogar um 20db erhöht werden kann. Denn was man im Eingang verliert, bekommt man später nicht mehr zurück. Erst nach der RIAA-Entzerrung lässt sich die Verstärkung in vier 2db-Schritten fein anpassen. Ein sinnvoll ausgelegtes Subsonicfilter kümmert sich dezidiert um die Armresonanz, es lässt sich zudem die Phasenlage wechseln. MM-Tonabnehmer kann man in Kapazität und MC-Tonabnehmer in Impedanz anpassen. Und das alles bequem auf der Front - ich liebe es. Nur so kann man Unterschiede durch schnelles Umschalten wirklich heraus hören. Die RIAA ist aktiv/passiv ausgeführt, das machen andere genau anders herum, aber Touraj kümmert das nicht: „Ich hatte den Eindruck, so spielt sie akkurater und erreicht eine perfekte Balance aus Präsenz und Timing.“ Diese Tests hat er mit Masterbändern vorgenommen, die in den Abbey Road Studios aufgenommen wurden. Wichtig ist Touraj sein edles HB-Netzkabel, das nun fester Teil des Konzepts ist, alleine dreitausend Euro kostet und sich im Lieferumfang der Calon befindet. Ihr Aufbau ist streng kanalgetrennt, wie erwähnt ist die Masseführung penibel, was man auch auf der Rückseite mit gleich zwei Masseklemmen ablesen kann. Die OpAmps sind unkenntlich gemacht, vor allem, weil Moghaddam keine Lust auf die Zeitgenossen hat, die sofort zu wissen glauben, wie das Gerät dann klingen wird. Recht hat er, wie erwähnt liegt das Geheimnis in der richtigen Gesamtabstimmung. Die Stromversorgung ist sauber aufgebaut, Audioschaltung und Regelung werden getrennt versorgt. Aber egal, was ich hier an Fakten aufzähle, ich kann doch nicht im Entferntesten vermitteln, was die Calon so besonders macht. Denn das begreift man erst, wenn man mit ihr Musik hört. Und im Hause Vertere wird viel gehört, nicht zuletzt auch, weil man eine enge Studioanbindung hat, es gibt ja sogar Vertere Tonträger, aufgenommen und gemastered vom Abbey Road Ingenieur Miles Showell. Und wussten Sie, dass Giles Martin Vertere Equipment bei seinen Re-Masterings für die Beatles Alben einsetzte? Ich nicht.   

Einfach richtig
Mit den ersten Tönen wird deutlich, dass da etwas Besonderes spielt: so sämig, so integrativ, so richtig klingt die Calon. Dieses „richtig“ ist natürlich subjektiv, aber ich suche noch nach Worten. Denn wie zum Beispiel aus absoluter Ruhe eine so unbändige und doch nie vordergründige Kraft erwächst, lässt mich staunen. Keine vordergründige oder hemdsärmelige Kraft, die Kraft aus dem eingangs angesprochenen Konzentrat eines Entwicklerlebens. Touraj gelingt es übrigens, allen Geräten diese Signatur einzuhauchen. „The Greatest Trumpet Of Them All“ ist vielleicht mein Lieblingsalbum von Dizzy Gillespie, weil es hier so wenig um Hochgeschwindigkeit geht. Ganz im Gegenteil dominieren Finesse und Klangfarben dieses wundervollen Oktetts. „Reminiscing“ vom Altsaxofonisten Gigi Gryce hat eine Aura, die mir eine Gänsehaut bereit. Dizzy spielt so weich, so elegant und ich entdecke Gigi Gryce als Solist wieder. Fast meine ich im Regiesessel zu sitzen und mir die Aufnahmen des Tages anzuhören. Noch extremer ist das bei Bill Evans` Meisterwerk „You Must Believe In Spring“. Unfassbar mit welch butterzarter Eleganz hier alle zu Werke gehen. Selbst Eddie Gomez, der oft zu viele Noten gespielt hat, scheint zur Ruhe gekommen zu sein und muss nicht mehr mit jedem Lauf zeigen, dass er rasend schnell spielen kann. Für „Gary´s Theme“, einer so edlen Hommage an Gary McFarland, braucht man alle Ruhe, die man bekommen kann. Mit der Calon kann ich jeder Verästelung im Klang folgen und als ich dann die zweite Seite aufl ege, bin ich mir sicher, dass ich absurderweise Bill Evans noch nie so schön habe spielen hören. Wie wattig-sanft auch hier Eddie Gomez seinen Bass zupft und was Eliot Zigmund für ein wunderbar sensibler Schlagzeuger doch ist, geht mir durch den Kopf. Dauernd denke ich, das sei eine Liveaufnahme, aber sie wurde in den Capitol Studios in Hollywood aufgenommen und erst ein Jahr nach Evans´ Tod erstmals veröffentlich. Jetzt bin ich mir sicher, dass die Calon die beste Phono ist, die ich jemals in meiner Anlage hatte. Ihre fast schon unheimliche Geschlossenheit, die mich mit jeder Platte näher an den Kern, an die Seele der Musik bringt, mag den Weg weisen.  

Messtechnik-Kommentar
Phonovorstufe Vertere Calon im Test, Bild

Die Vertere-Phono benimmt sich beim Labordurchgang weitgehend adäquat. Der ab dem Mitteltonbereich um etwa ein halbes Dezibel nach oben driftende Frequenzgang eines Kanals spricht nicht unbedingt für eine perfekte Selektion der Komponenten in der Entzerrung, aber das ist zu verschmerzen. Die Verstärkung des Gerätes reicht von knapp 45 bis rund 73 Dezibel, das ist auch für sehr leise MCs prima. Bei minimaler Verstärkung und 5 Millivolt am Eingang beträgt der Fremdspannungsabstand rund 68 Dezibel (A), die Kanaltrennung auch. Der Klirr liegt bei 0,09 Prozent. Im Falle maximaler Verstärkung und 0,35 Millivolt Eingangsspannung liegen die Werte bei 59 Dezibel(A), 53 Dezibel (A) respektive 0,84 Prozent. Das Gerät verbraucht konstant 10 Watt Strom. 


Unterm Strich...

Die Vertere Calon ist die beste Phonovorstufe, die ich kenne: ihr livehafter, realistischer, sahniger Klang hat mich süchtig gemacht. Sie hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen und so macht auch ihr Preis Sinn.

KategoriePhonovorstufe
ProduktCalon
HerstellerVertere
Preis19000 Euro
Getestet vonChristian Bayer
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Christian Bayer
Redakteur / Tester

Christian Bayer


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