Lautsprecher Wilson Audio Tune Tot im Test, Bild
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Einzeltest > Lautsprecher > 07.05.2025

Ein Fan, ein neuer Fan…

Man kann sich fragen, was eine Firma wie Wilson tun soll, wenn der Wunsch nach einem kleinen Lautsprecher da ist? Ihn zu einem Kompromiss machen? Schlechte Idee. Ihn so gut wie die Großen machen, nur eben kleiner? Sehr gute Idee.

Lautsprecher Wilson Audio Tune Tot

Ok, ich gebe zu, ich habe das Pferd von hinten aufgezäumt und deshalb reisen wir in der Firmengeschichte von Wilson Audio nun zu den Anfängen zurück. Die Firma wurde 1974 von David A. Wilson II zusammen mit seiner Frau Sheryl Lee gegründet. Zu Beginn mehr als Hobby von zu Hause aus betrieben, was man sich heute kaum noch vorstellen kann. Doch David hatte viele Interessen und Talente, wozu auch das Schreiben gehörte. Denn er war Teil des Absolute Sounds Teams und hatte immer eine Passion für Aufnahmetechnik. Und genau dafür brauchte er einen Lautsprecher, den er auf dem Markt nicht fand. Also entwickelte er das erste Produkt seiner jungen Firma, die Vorgänger unserer Tune Tot, weshalb die ganz besonderere Lautsprecher sind, insbesondere im Nachgang zum 50-jährigen Wilson Audio Jubiläum im vergangenen Jahr.  

Die kleinen Wilsons
Ach so, die Kleinen hießen Tiny Tot oder ausführlicher Wilson Audio Tiny Tot, kurz WATT. Mit ihrem passenden Basswürfel names Puppy sind sie dann als WATT / Puppy in die Audiogeschichte eingegangen. Bis 2011 blieb das Tandem mit insgesamt acht Inkarnationen im Wilson-Programm und wurde so zum, laut Wilson, erfolgreichsten Lautsprecher der Audiogeschichte jenseits von 10000 Dollar. Wir hier müssen allerdings stark sein und ohne eine wie auch immer geartete Puppy-Unterstützung auskommen. Mir macht das nichts aus, höre ich doch seit vielen Jahren immer wieder mit kleinen Monitoren sehr zufrieden Musik. Mit seinem fest verbundenen Puppy, wenn man so will, nennt sich das vergleichbare System übrigens inzwischen „Sasha“, ein Lautsprecher, von dem Kollege Barske ausgesprochen angetan war. Und natürlich gibt es separate Subwoofer namens Loke oder Watch Dog.   

Basics
Jeder, der schon einmal einen Wilson Lautsprecher gesehen hat, wird sich an die ungewöhnliche Formgebung, vor allem die typischerweise gekrümmte Schallwand zur maximal phasengleichen Abstrahlung erinnern. Hier reduziert sich dieses Element, durch die Kompaktheit der Tune Tot, auf die Kippmöglichkeit per Spikes oder die separat erhältliche Basis namens IsoBase. Ihr Tiefmitteltöner wurde ursprünglich für die erste Alexx entwickelt und den Hochtöner gibt es in ähnlicher Form auch in den größeren Modellen wie der Sabrina.  

Gehäusebau
Am Anfang steht immer das Gehäuse, das vom etwas hoch gestochen benannten WSAE (Wilson Special Application Engineering) auch hier mit einem Laser-Doppler- Vibrometer vermessen wurde, um auch noch die kleinste Vibration aufspüren zu können.

Lautsprecher Wilson Audio Tune Tot im Test, Bild
Nichts von der Stange. Die Anschlussbuchsen sind Wilson eigen und die Bassreflexöffnung habe ich so auch noch nie woanders gesehen
Damit tun sie natürlich das Richtige und sie haben auch das Gegenmittel für schädliche Resonanzen und zwar ihre sogenannten X- und S-Materialien. Dabei handelt es sich um nicht näher spezifizierte Phenolharz-Verbundwerkstoffe hoher Dichte. Ich denke man kann sagen, dass solche Werkstoffe immer Vorteile gegenüber Monomaterialien haben, da sich ihre unterschiedlichen Resonanzcharakteristika tendenziell auslöschen und das Gehäuse effektiv beruhigen. Außerdem gibt es in der Tune Tot keine parallelen Wände. Weitere Maßnahmen werden unter dem internen „Reflektionsmanagement-System“ subsummiert, das auch in der Alexa Serie 2 zum Einsatz kommt. Was das genau ist? Fehlanzeige. Die Stärke der Paneele variiert – die Front ist mit etwa 25mm am stärksten, alle werden zusätzlich bedämpft. Weitere Dämmung scheint auch verwendet zu werden, aber auch da halten sich die Amerikaner bedeckt.  

Die Treiber

Tiefmittel- und Hochtöner werden in Fall der Tune Tot, wie auch für viele andere Modelle, von Scan-Speak für Wilson gefertigt. Das erstreckt sich sowohl auf von Scan-Speak für Wilson veränderte Serienmodelle und da sind die Ingenieure aus Utah offenbar sehr pingelig, als auch auf weitere Verfeinerungen, die Wilson selbst vornimmt. Knallharte Details geben sie nicht preis. Aber es wird schon deutlich, dass Wilson auch in ihrem kleinsten Modell keinerlei Kompromisse macht, was man bei dem Preis allerdings auch erwarten darf. Der Tiefmitteltöner kann und will seine Herkunft aus der Scan-Speak Revelator-Serie gar nicht verhehlen. Die charakteristischen, asymmetrischen Schlitze zur Resonanzbrechung auf der Membran verraten das. Die besteht aus beschichtetem Papier, ein kräftiger Ferritmagnet und ein Spezialsickengummi aus Styrene-Butadiene runden das Design ab. Der Ringradiator bekam rückwärtig eine Absorbtionskammer spendiert und wird von einem kräftigen Neodymmagneten angetrieben. Die Filzbehandlung drum herum ist ist Wilson-Standard und vermindert vor allem Reflexionen.  

Aufstellung
Jeder, der sich mit einem Wilson Audio Lautsprecher beschäftigt, wird mit diesem Thema konfrontiert – Du erinnerst dich an die gekrümmten Fronten. 
Lautsprecher Wilson Audio Tune Tot im Test, Bild
So macht das Sinn: auf den eigenen Ständern in diesem faszinierend-perlenden Rot. Ganz ehrlich: ich würde sie sofort so nehmen
Einfach nur hinstellen ist nicht, da würde man viel zu viel dessen verschenken, wozu so ein Lautsprecher in der Lage ist. Aber wo sich bei den größeren und vor allem den großen Modellen eine Vielzahl von Parametern verändern lassen, ist die Kleine da gutmütiger. Die Aufstellungsprozesse sind vielfach dokumentiert worden, ich beschränke mich hier auf die Basics. Das hat auch damit zu tun, dass wir weder eine Iso-Base noch die passenden Ständer zum Hören zur Verfügung hatten. Aber das macht nichts, denn die Qualität dieses Lautsprechers ist vom ersten Ton an unüberhörbar. Die verstellbaren Spikes als Mindestlösung sind aus austenitischem Edelstahl. Typischerweise kommt das feste Paar nach hinten und die beiden verstellbaren Exemplaren nach vorne. So lässt sich die Box nicht nur hervorragend von ihrer Stellfläche entkoppeln, sie kann auch je nach Abhörentfernung wunsch- und stückweise nach hinten geneigt werden. So habe ich sie also mit ihren Spikes auf einem Regal platziert und es begann mein erster, persönlicher Wilson-Trip. Ken Kessler, der berühmte englische Journalist hat diese Erfahrung perfekt auf den Punkt gebracht und ich möchte seine Einschätzung quasi als vorgezogenes Fazit zitieren: “Wie schrumpft man eine Yvette, eine Sophia, eine Alexia zu etwas Handlichem für Platzmuffel? Man kann sich nur vorstellen, wie viele Iterationen der endgültigen Version vorausgingen, aber Wilson Audio hat es geschafft, einen Mini-Monitor zu entwickeln, der 90 % des Wilson-Vollbereichs- Erlebnisses bei 10 % des Volumens bietet.“  

Klang
Das war die vielleicht größte Überraschung für mich, der sich noch nie länger mit einem Wilson Lautsprecher beschäftigt hat. Bei all der High-End-Entwicklung kommt da nämlich kein typischanämischer High-End-Klang heraus, sondern ein lebensechter, griffiger, fast fleischiger Sound, der mich in jeder Sekunde begeistert. Ihr Wirkungsgrad ist ordentlich, mit dem Soulnote A3 entsteht ein perfektes Tandem. Beethovens Klaviersonaten entfalten einen unwiderstehlichen Sog. Selbst von einem weniger bekannten Solisten gespielt, machen sie mich fast schon süchtig. Ich muss sie alle durchhören und nehme meine Umgebung erst wieder wahr, als die Sonne schon untergegangen ist. Ganz ehrlich, das sind Lautsprecher, wie für mich gemacht. Wie herrlich, fluffig, groß und stimmig die Trompete von Blue Mitchell klingt? Oder wie Gianmaria Testas so unheimlich warmer, sonorer Brustton einfach mitten im Raum zu stehen scheint? Spielt da echt nur so ein kleiner Lautsprecher? Ja, aber es ist eine Wilson.  

Gemessenes:

Lautsprecher Wilson Audio Tune Tot im Test, Bild

Zwar nicht wie mit dem DSP gezogen, liefert die Wilson jedoch einen sauberen Amplitudengang ab, bei dem die Trennung zwischen Tiefmittel- und Hochton sich nicht durch eventuelle Einbrüche verrät. Auf Achse ist die Wiedergabe durchaus bis in den Superhochton ausdedehnt, auf der anderen Seite des Wiedergabespektrums zeigt sich nur wenig Bass. Auch liegt wegen der geringen Membranfläche der Kennschalldruck (2,83 V/1 m) nur bei 83 dB, dafür ist es umso lobenswerter, dass die Wilson auch bei erstaunlichen 90 dB fast nicht zerrt.


Unterm Strich...

Meine Begegnung mit der kleinen Wilson Audio Tune Tot hat mich zum Fan werden lassen. Ihr alles andere als kleines Klangbild mit dem freundlich-analytischen, so wunderbar ausgewogen-lebendigen Klang machen sie zum Meisterstück.

KategorieLautsprecher
ProduktTune Tot
HerstellerWilson Audio
Preis12000 Euro
Getestet vonChristian Bayer
Vorheriger Test

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Nächster Test

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