Endverstärker Air Tight ATM-1E im Test, Bild
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Einzeltest > Endverstärker > 02.05.2025

Ankommen

Vor nahezu 40 Jahren begann die Geschichte von Air Tight mit der ATM-1 Endstufe. Und auch wenn Firmenchef Yutaka „Jack“ Miura betont, dass die ATM-1E nichts mehr mit der ATM-1 zu tun hat, können wir hier doch eine Tradition bewundern.

Röhrenendstufe Air Tight ATM-1E

Tradition und Moderne Jack Miura betont, wann immer es geht, sehr entschieden, dass die ATM-1E eine ganz neu entwickelte Endstufe sei und keine Variante der ATM-1S oder gar der ursprünglichen ATM-1, die noch mit Röhrengleichrichtern arbeitete. Das ist einerseits richtig, nutzt die ATM-1E doch eine neue Eingangs- und Treiberstufe und neue Ausgangsübertrager. Dennoch bleibt die ATM1-E eine kompakte Gegentaktendstufe mit EL-34 Pentoden, deren Beschaltungsmöglichkeiten kurz gesagt endlich sind. Was Miura deutlich machen will, ist natürlich klar und dazu muss ich ein wenig ausholen. Nachdem 2014 der Co-Gründer und technische Kopf von Air Tight, Masami Ishiguro, gestorben war, fungierte Jacks Vater Atsushi Miura, der das so unendlich fein abgestimmte Air Tight Portfolio erdacht hat, noch eine Zeit lang als Berater. Letztlich aber wurde die komplette Linie bis auf die ATC-3 Linevorstufe seit 2015 von Yoshihiro Hayashiguchi als Produktdesigner und Kiyoshi Hamada als technischem Entwickler neu erarbeitet. Dabei haben sich sowohl die Qualität als auch die Preise teilweise deutlich verändert. Prinzipiell haben sich die Geräte qualitativ sicher nicht verschlechert, aber sie haben sich verändert.  

Air Tight früher und heute
Ich war über viele Jahre hinweg ein geradezu notorischer Gerätetauscher, habe sehr viel ausprobiert und wieder verkauft. Inzwischen besitze ich insgesamt ein halbes Dutzend Air Tight Gerätschaften und das war’s für mich. Darunter ist zwar keine ATM-1 oder ATM-1S und auch kein Gerät aus der neuen Air Tight Ära, dafür aber die AMT-4, auch eine Gegentaktendstufe mit 6L6 Röhren. Dazu kommt eine ATC-1HQ Vorstufe, die ursprünglich mit der ATM-1 erdacht wurde. Ich kann die ATM-1E also ganz gut einschätzen. Sie arbeitet wie erwähnt und wie von ihren Vorgängern gewohnt mit je einem Paar EL34 Pentoden pro Kanal und Diodengleichrichtung. Die Bestückung im Eingang wurde von einer EEC83 und zwei ECC82 auf eine ECC81 (Spannungsverstärkung) und zwei 6CG7 (Treiberstufe und Phasensplitter) geändert. Die 81er setzt Air Tight wegen ihres geringeren Verstärkungsfaktors schon länger ein. Das ist sicher den unterschiedlichen Digitalquellen mit ihrer hohen Ausgangsspannung geschuldet. Für Freunde der NOS-Röhren ist es viel schwieriger, eine richtig gute 81er zu finden, als eine entsprechende 83er, aber das spielt in den Überlegungen von Air Tight natürlich auch keine Rolle mehr, RoHS lässt grüßen. Bei den 6CG7, die man schon in der klassischsten EL-34-Endstufe überhaupt, der Marantz 8B, findet, ist das kein Thema, selbst die EH-Typen sind ordentlich. Die ATM-1 war ja 1986 die erste Endstufe im Programm der Japaner und 20 Jahre später in ihrer zweiten Inkarnation als ATM- 1S immer erhältlich. Der entscheidende Impuls beim Neudesign für die Endstufe waren letztlich die Liefer- und Qualitätsprobleme beim bisherigen Lieferanten der Ausgangsübertrager Hashimoto. Nachdem man sich das eine Weile angeschaut hatte, nahm man zwischen 2021 und 2024 das Thema in Angriff und stellte dabei eben alles auf den Kopf. Air Tight hatte schon immer für ihre unterschiedlichen Geräte zwischen Hashimoto und Tamura gewechselt, nun greifen sie zu Tamura. Überraschenderweise scheinen sie sich da mit Übertragern aus deren Katalog zu begnügen, wo man sich früher doch speziellere Varianten wickeln ließ. Den Netztrafo lässt Air Tight hingegen wie bei der ATM 300R von einem Fachbetrieb wickeln, wenn er nicht wie bei unserem Testexemplar doch noch von Hashimoto kommt. Weitere Schaltungsdetails werden nicht kommuniziert. Ein Blick auf den Übertrager lässt die Annahme zu, dass es sich um eine Ultralinearschaltung handelt, aber das ist Spekulation. Die Endstufe produziert 35 Watt, exakt dieselbe Leistung wie einst die Marantz 8B.  

Neue Zeiten
Die ATM-1E wurde, und das ist absolut verständlich, an die neue Air Tight Gerätelinie angepasst. Man ist dort durchaus verständlich der Meinung, der allgemeine Hörgeschmack habe sich geändert und man könne nun auch moderne Lautsprecher mit so einer Endstufe antreiben. Ich gebe zu, ich trauere der alten Abstimmung von Atsushi Miura und Masami Ishiguro nach, denn die bekamen eine aus meiner Sicht perfekte Mischung aus Neutralität und Schmelz hin. Die neuen Geräte sind da etwas weniger vergebend, vielleicht ein Stückchen mehr auf der Transistorseite verortet. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch, denn grundsätzlich ist die AMT-1E eine mehr als „richtige“ Endstufe, speziell im Vergleich mit ihrer Konkurrenz. Der Gedanke, dass die Geräte nun universeller werden, ist ja auch richtig. Schon bei der ATM-300R hatte mich der relativ große Anteil an negativem Feedback überrascht und erst einmal auch klanglich zum Nachdenken gebracht. Letztlich erschien mir diese Lösung, wiewohl sie für eine Trioden- Eintakt-Endstufe eher die Ausnahme ist, genau richtig. Im Falle einer Gegentaktendstufe lässt sich Feedback, auf Deutsch Gegenkopplung, sowieso erwarten. Unter anderem dadurch soll die ATM-1E stabiler an kritischen Lasten sein, das macht sie eben für eine größere Anzahl an Lautsprechern attraktiv und diesen Wunsch darf man dem bisher meistverkauften Gerät von Air Tight auch nicht verwehren.  

Klangvermögen

Zu Beginn klang die ATM-1E verschlossen und zurückhaltend, ganz das Gegenteil dessen, was ich erwartet habe. Das gab sich aber nach einigen Tagen des Einspielens, mir schien die Endstufe war praktisch neu. Bald wurde der Klang pointierter und geschmeidiger und so ließ es sich hervorragend hören. Da es sich um eine Class A/B-Schaltung handelt, wird das Gerät auch längst nicht so heiß wie zum Beispiel die AMT 300R. Ich höre eines der letzten Konzerte von Bill Evans mit ungeheurer Präsenz, irrer Attacke und edler Fein- wie Grobdynamik – so gehört sich das für eine richtig gute EL-34-Endstufe. Ich hasse es ja buchstäblich, von sogenannten Bühnenbreiten zu lesen. Ich kann noch verstehen, wenn der Klang „gestaucht“, zwei- statt dreidimensional wirkt. Aber da praktisch keiner von uns beim Konzert dabei war und wenige die Konzertsäle oder Clubs kennen, halte ich alle Aussagen für hanebüchen , die sich mit der vermeintlich authentischen Bühnenbreite- oder Tiefe beschäftigen. Ich kann nur mit meinem Equipment in dem Raum, in dem ich bestimmte Komponenten höre, entweder ein Livegefühl, ein Gefühl von Authentizität bekommen oder eben nicht. Hier: Oh ja. Jeder, der schon einmal ein Klavier, besser einen Flügel live gehört hat, würde mir zustimmen, wenn er jetzt neben mir säße: so kann ein Flügel klingen – es klingen ja nicht alle gleich. So hart und weich, je nach Anschlagsdynamik. Denn harte Anschläge müssen hart klingen und zarte, feine ebenso. Bill Evans war, weniger als zehn Monate vor seinem Tod, in überra-gender Form. Er hatte noch einmal ein Trio, wie zu Beginn seiner Karriere gefunden, und schien das noch ein wenig auskosten zu wollen, bevor er diese Erde verließ. Und genau das fange ich mit der ATM-1E perfekt ein. Oder der Bass von Marc Johnson, den Evans wie einen Sohn liebte – mit seinem eigenen konnte er nur begrenzt umgehen: da steht ein Mensch wahrnehmbar auf einer Bühne und spielt mit den Saiten seines Holzinstruments: das hört man. Und mehr muss ich gar nicht wissen.  

Gemessenes

Endverstärker Air Tight ATM-1E im Test, Bild

Alles bestens im Messlabor: Der Air Tight schafft solche Dinge wie einen breitbandigen und geradlinigen Frequenzgang mit Bravour, die Kanalabweichung von etwa einen Drittel Dezibel sei dem Röhrenkonzept gegönnt. Der Fremspannungsabstand bei einem Watt und einem Kilohertz beträgt an acht Ohm 75,6 Dezibel(A), die Kanaltrennung 73,3 Dezibel(A). Der Klirr liegt mit 0,02 Prozent für so ein Konzept beeindruckend niedrig, auch an vier Ohm ändert sich das Bild praktisch nicht. Das Gerät leistet in beiden Fällen ziemlich exakt 30 Watt pro Kanal und verbraucht im Leerlauf 135 Watt Strom.


Fazit

Wäre ich auf der Suche nach einer Röhrenendstufe, mit der ich meine Suche beenden kann, die ATM-1E wäre meine erste Wahl. Sie klingt hervorragend und macht wie immer eine ausgesprochen hübsche Figur.

KategorieEndverstärker
ProduktATM-1E
HerstellerAir Tight
Preis12000 Euro
Getestet vonChristian Bayer
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