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Einzeltest > Vollverstärker > 11.12.2024

Wunschkind

Ich will ja nicht leugnen, dass ich mich in dem komplett unvernünftigen Regionen der HiFi-Welt ganz gut eingelebt habe. So ab und zu jedoch brauche ich mal etwas Greifbares, realistisches. Das hier ist so etwas.

Vollverstärker Exposure 3510 Integrated

Vorgeschichte
Ich will nicht bestreiten, dass ich gleich von mehreren Seiten Tipps bekommen habe. Weil ich mich mitunter beschwere, dass wir so ziemlich überhaupt keine irgendwie bezahlbaren Geräte im Fundus haben und gezwungen bin, fast jeden Hörtest mit beliebig exotischen Gerätschaften durchzuführen. Klar macht das Spaß, mitunter geht aber die Praxisrelevanz dabei flöten. Wie wär’s denn mal mit einem moderat bepreisten, robusten Vollverstärker, der mehr oder weniger jeden Lautsprecher antreiben kann, denn man nicht wie eine Mimose behandeln muss, der immer und überall seinen Job macht und zudem auch noch gut klingt? Genau so einer, so munkeln die gewöhnlich gut informierten Quellen, sei der Exposure 3510 Integrated. Zudem sei der auch noch mit einer wirklich guten Phonovorstufe abseits aller Alibilösungen aufrüstbar. Zum Preis von 2650 Euro. Plus 300 Euro für eine der beiden Phonooptionen (MM/MC). Solche erfreulich pragmatischen Geräte fertigt der britische Hersteller Exposure seit 1974. Wer sein Wohnzimmer mit einem gestalterisch aufregenden Eyecatcher verzieren will wird beim 3510 Integrated vermutlich nicht glücklich werden – das Gerät sieht so selbstverständlich aus wie die Blaupause ungefähr jeden Achtzigerjahre- Vollverstärkers: Drehnopf links, Drehknopf rechts, ein paar Kleinigkeiten in der Mitte – fertig. Da geht die quer über die solide Alufront verlaufende „Blutrinne“ schon fast als optisches Highlight durch. Aber vermutlich muss das genau so sein: Mehr Sein als Schein lautet die Devise. Einen ersten Eindruck vom „Sein“ bekommt man beim Hochheben des Gerätes. Satte zwölf Kilogramm bringt der „Integrated“ auf die Waage – das lässt auch ein solides Netzteil und ein bisschen was an Leistung hoffen. Den Zusatz „Integrated“ trägt das Gerät übrigens, weil’s in der Baureihe 3510 auch noch einen Vorverstärker namens „3510 Pre“, eine Stereoendstufe und Monoblöcke gibt.   

Auststattung
Ein Blick auf die Rückseite offenbart reichlich Anschlussmöglichkeiten: Fünf Hochpegel-Eingänge, von denen sich einer auf Phono umrüsten lässt, eine komplette Tape-Schleife, zwei parallele Vorverstärkerausgänge. Hinzu gesellen sich Anschlüsse für zwei (nicht einzeln schaltbare) Lautsprecherpaare, und zwar im mir sehr vertrauten und angenehmen Hirschmann-Laborbuchsenformat – ich statte alle meine Selbstbauprojekte damit aus. Man kann hier zwar ausschließlich Bananenstecker einstöpseln, was ich aber völlig in Ordnung finde. Eingeschaltet wird das Gerät mit einem harten Netzschalter an der Front, wie sich das gehört.


Gewichtiges Argument: Mit dem Ringkernumspanner lässt sich einiges an Leistung auf ein brauchbares Niveau wandeln
Der legt den beeindruckenden Ringkerntrafo ohne Umschweife an die Netzspannung, also ohne Einschaltstrombegrenzung. Wir hatten damit kein Probleme, ich will aber nicht ausschließen, dass etwas sensibleren Haushaltsinstallationen den Vorgang hier und da mal mit Auslösen einer Sicherung quittieren könnten. Der Drehknopf links schaltet die Eingänge durch, die von robust klackenden Relais angewählt werden. Sehr angenehme kleine rote Leuchtdioden vermelden den gewählten Eingang, zeigen die Betriebsbereitschaft und die Position des Lautstärkestellers an. Eine sehr gelungene und dezente Kommunikation mit dem Benutzer. Zusätzlich freuen wir und über einen Kopfhörerbuchse im 6,3-mm-Gardemaß und einen Empfänger für die serienmäßige Fernbedienung. Unterm Aluminiumdeckel zeigt sich ein typisch britisches Vollverstärker- Layout. Links besagtes Ringkernmonster, mittig von vorne nach hinten baut der üppige Kühlkörper. Die Anordnung hat den Vorteil, dass der Kühlkörper die Verstärkerelektronik vom Trafo abschirmt – ein sehr bewährtes Konzept. Die Leistung liefern vier potente Bipolartransistoren pro Kanal, die dicken Siebelkos sitzen in deren unmittelbarer Nähe – prima, optimal gelöst. Die Verstärkerschaltung ist mit diskreten Einzelhalbleitern aufgebaut, sicherlich auch kein Nachteil. Mittig auf der Hauptplatine ist bei unserem Probanden das Phono-MC-Modul montiert. Das ist in der Tat ein wahres Prachtstück, bei dem reichlich Aufwand getrieben wurde. Die erste Verstärkerstufe besteht aus einer ganzen Reihe winziger parallelgeschalteter SMD-Transistoren, was das Rauschen reduzieren hilft. Die vermutlich letzte Stufe wird offenbar mittels integrierter Operationsverstärker realisiert, aber das muss ja nichts Schlimmes sein. Die Verstärkung des Moduls ist zweifach per Steckbrücke umschaltbar, zudem kann man mit drei weiteren Brücken Eingangsimpedanzen zwischen etwa 100 Ohm und 1,5 Kiloohm umstecken. Das ist nicht üppig oder superkomfortabel, geht aber. Und sonst? Die Lautstärke wird mittels eines der berühmten Motorpotis des japanischen Spezialisten ALPS eingestellt, eine durch und durch solide Lösung. Gut und konsequent aufgebautes Gerät – alles richtig gemacht.  

Klang
Die Frage, mit was für einem Lautsprecher man den 3510 am besten betreibt ist eine recht einfache: mit dem, der einem am besten gefällt. Ich habe sogar das etwas schräge Experiment unternommen, die definitiv anspruchsvolle Wilson The Watt/Puppy an den Briten zu hängen – die kostet in etwa das Zwanzigfache des Verstärkers. Und das funktioniert weit besser als erwartet: Der beeindruckende Tieftonbereich, dessen die Wilson fähig ist, stellt sich hier sehr überzeugend mit Dampf und Ausdehnung dar. Nicht ganz mit der Kantenschärfe des D‘Agostino Progression Integrated, der den Antrieb der amerikanischen Ausnahmlautsprecher so souverän besorgt hatte, aber fast. Was ich schon ziemlich bemerkenswert finde. Deutlich realistischer präsentierte sich die Kombination des Exposure mit der ausgezeichneten Epos ES-14N. Genau so ein konsequentes, aber bodenständiges Produkt wie der Verstärker verstanden sich beide prächtig. Die Fähigkeit zu einer impulsiven, ausdrucksstarken Wiedergabe eint beide. Treiben wir uns beispielsweise mal ein Weilchen auf dem exzellent produzierten Transrotor-Sampler „Favourites“ herum. John Scofields „Do Like Eddie“ zum Beispiel klingt auffallend weiträumig, überzeugt mit einem sehr rhythmischen Schlagzeug und ganz viel Luft zwischen Gitarre und Keyboard. Ein audiophiles Highlight erster Güte, das diese Kombination erstklassig transportiert. Musikalisch weitaus entspannter, aber nicht weniger überzeugend: „Seven Days Of Falling“ des unvergesslichen Esbjörn Svensson Trios. Ausdrucksstärke lautet auch hier das Zauberwort. Exposure und Epos liefern eine extrem emotionale Vorstellung, beweisen ein exzellentes Händchen für die feinen Nuancen der Einspielung, bewahren dabei aber – und das geht auf das Konto des Verstärkers – eine extrem Souveränität bei, die sich in erster Linie an der Qualität der Wiedergabe des Kontrabasses in direktem Kontrast zu dem butterweichen Klavieranschlägen des Meisters zeigt – eine fast ätherische Qualität am oberen Ende des Spektrums inklusive. All das klappt übrigens hervorragend mit der Aufrüst-Phonoplatine, die mit einer forschen und direkten Gangart zu überzeugen weiß. Die übertragerunterstützte Unison-Phono aus diesem Heft klingt vielleicht noch einen Hauch flüssiger und zarter, Welten liegen da aber ganz eindeutig nicht mehr zwischen. Spätestens nach allen vier Seiten des wunderbaren My Sleeping Karma-Live-Albums „Mela Ananda“ ist klar: Das ist er, der Verstärker, den ich lange gesucht habe. Und ich bin mir ganz sicher, dass ich damit nicht alleine bin.   

Gemessenes


 



Der Exposure gibt auch im Labor ein überzeugendes Bild ab. Das Gerät ist nicht außergewöhnlich breitbandig, der Frequenzgang setzt ab 20 Kilohertz zu einem leichten Sinkflug an. Der direkte Vergleich zum Phonofrequenzgang offenbart, dass man dem MC-Modul ein dezentes Subsonic-Filter spendiert hat. Das Gerät erfreut mit einem Hochpegel-Fremdspannungsabstand von fast 80 Dezibel(A), die Kanaltrennung liegt nur minimal darunter. Das gilt für Acht- und Vier-Ohm-Betrieb. Der Klirr bei einem Watt an acht oder vier Ohm beträgt minimale 0,022 Prozent. Die Ausgangsleistung ist nennenswert: etwa 117 Watt an acht und 190 Watt an vier Ohm, jeweils bei maximal 0,7 Prozent Klirr. Die Ruhestromaufnahme beträgt moderate 31,7 Watt.


Unterm Strich...

Optisch unspektakulär, klanglich das genaue Gegenteil: Der Exposure 3510 ist ein kräftiger Alleskönner, der dynamische und feingeistige Qualitäten perfekt unter einen Hut bekommt und zudem mit einer ausgezeichneten Phonooption überzeugt.

KategorieVollverstärker
Produkt3510 Integrated
HerstellerExposure
Preis2650 Euro
Getestet vonHolger Barske
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Einflussreich - Röhrenvorverstärker Air Tight ATC-7

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Holger Barske
Redakteur / Tester

Holger Barske


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