Tonabnehmer Wilson Audio Benesch TESSELLATE Ti-B im Test, Bild
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Einzeltest > Tonabnehmer > 06.05.2025

Meisterleistung

Wenn eine Firma wie Wilson Benesch, nachdem sie ihren bahnbrechenden GMT® One System „Plattenspieler“ serienreif hat, neue Tonabnehmer vorstellt, muss man hinhören. Ganz genau hinhören.

Tonabnehmer Wilson Benesch TESSELLATE Ti-B

Viele werden mit Wilson Benesch vor allem Lautsprecher verbinden. Aber wir bei der LP denken zuerst an den berühmten Wilson Benesch Plattenspieler mit dem ersten kommerziell erhältlichen Carbonfaser-Tonarm und den Circle, welche die Firma aus Sheffield für immer auf der analogen Landkarte verewigt haben. Wie oft haben wir uns gefragt, warum es den ersten, berühmten und immer noch geliebten Wilson Benesch Plattenspieler nicht mehr gibt. Firmenchef Craig Milnes hat darauf eine klare Antwort: „Glaub mir, ich liebe den originalen WB Plattenspieler. Aber die Zukunft ist unser GMT® One System. Und dessen Motor wird auch nicht verschwinden wie der alte, denn das ist unser eigenes Design.“   

Überplattenspieler
Viele Jahre hat Wilson Beneschs Mastermind am sogenannten GMT® One System, einem ernsthaft neu gedachten Plattenspieler gearbeitet, bis er ihn 2023 endlich spielfertig hatte. Ich hab’s ja nicht so mit Überplattenspielern im Gegenwert eines Eigenheims. Aber in diesem Fall halte ich das GMT® One System für ein echtes Gesamtkunstwerk. Craig Milnes sieht ihn als Gesamtkonzept, weil er der Meinung ist, dass nur ein harmonisches Gesamtsystem, und dazu gehört zum Beispiel auch ein Laufwerkstisch, die Ideallösung sein kann und da hat er sicher Recht. Aber wir bekommen einen Vorgeschmack darauf, denn wie Craig sagt: „Die Entwicklung des TESSELLATE Ti Tonabnehmers war ein wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen Entwicklung des GMT® One Systems.“ Dann schauen wir uns das mal an.   

Die Wilson Benesch Tonabnehmer
Die Firma wurde 1989 gegründet und beschritt auch aus finanziellen Gründen einen Pfad, der sie dahin gebracht hat, wo sie heute sind: die Verwendung öffentlicher Forschungsgelder und die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen. 1991 brachten sie mit dem A.C.T. One den ersten komerziellen, hyperbolischen Tonarm aus Kohlefaser (Carbon) auf den Markt. Dazu brauchte es einen Tonabnehmer und den Generator dafür lieferte Benz. Das Gehäuse des ersten, wenig überraschend, Carbon genannten Tonabnehmers wog keine 2 Gramm. Aber die Zusammenarbeit mit Benz endete und seit 2007 gab es keinen Wilson Benesch Tonabnehmer mehr, weil es einfach dauerte, um auf ein ganz neues Niveau zu kommen. Ich wollte natürlich wissen, wer der neue Zulieferer der Nadelträgereinheit ist, aber das bleibt Firmengeheimnis. Wilson Benesch fertigt viel selbst, doch an der Stelle wissen sie, dass man nicht in jedem Bereich Experte sein kann.   

Unterschiede
Das ursprüngliche Carbon- Gehäuse des ersten Wilson Benesch Tonabnehmers war ein Kompromiss und Craig war nie ganz zufrieden damit. Er entwickelte es schnell weiter und am Ende stand das Ply, ein offenes Design. Nun ist ihm mit Hilfe eines SLS- 3-D-Drucks (Selektives Laser Sintern), das gelungen, was er immer wollte: Schutz und Bedeckung und trotzdem vollkommene Offenheit. In Sachen spezifischer Steifheit ist dieser Korpus sicher einzigartig. Dazu Craig: „Durch die Minimierung unerwünschter Resonanzen entsteht eine unverfälschte, ruhige Klarheit, die die Musik viel zugänglicher macht.“ Das werden wir hören. Wenn ich jetzt sage, so einen Tonabnehmer habe es noch nie gegeben, lehne ich mich weit aus dem Fenster. Aber ich kenne offen gestanden keinen. Sicher ist so eine Art Gehäuse und so eine Art Nadelträger in der Kombination nicht auf dem Markt. Was macht ihn so einzigartig? Nun, das namensgebende Tesselate, was übersetzt in etwa Mosaik bedeutet, definiert die Gehäusestruktur, die sich an einer Zellform orientiert. Craig Milnes hat 2009 im Zuge einer Studie an der Universität von Sheffield damit Bekanntschaft gemacht. Diese Tesselate-Struktur kann man sich als unendliches Mosaik wie in den Gemälden von M.C. Escher vorstellen. Von den Gehäusen gibt es drei Ausführungen, die eigentliche Struktur ist immer aus Titan: eine Titan-Legierung, poliertes Silber und poliertes Gold. Die Varianten sind rein ästhetischer Natur, klanglich sollen sie identisch sein. Und dann gibt es noch drei unterschiedliche Nadelträgermaterialien: Bor, Saphir und Diamant. Der Preis steigt dann auf mehr als das Doppelte unseres Testexemplars.  

Dieser Nadelträger
 …ist einzigartig. Die allfälligen Resonanzen bei der Abtastung werden fast an der Quelle durch die Verwendung eines unidirektionalen Karbonfaserrohrs mit geringem Durchmesser minimiert. Moment mal, Karbonfaserrohr?

Tonabnehmer Wilson Audio Benesch TESSELLATE Ti-B im Test, Bild
Es ist so ein Thema mit dem Nadelschutz. Hier ist er magnetisch gelöst was die Unfallgefahr aber auch nicht bannt
Ich hatte doch von Bor gesprochen? Richtig und das ist vielleicht DIE Innovation dieser Tonabnehmer- Reihe: über den eigentlichen Nadelträger wird ein Karbondämpfer in eine asymmetrische Position zum Drehpunkt hin versetzt geschoben und mit diesem verklebt. Dank eines speziellen Klebstoffs wird die Haltbarkeit gewährleistet, ohne die gewünschte Energiedämpfung zu beeinträchtigen. Damit man versteht, wie ernst es Wilson Benesch mit der Synergie ihres Gesamtsystems ist, muss ich wieder Craig Milnes zitieren: „Wenn der TESSELLATE Ti Tonabnehmer als Teil des GMT® One Systems geliefert wird, wird er vollständig auf die GRAVITON® Ti Armwand montiert geliefert. Wir verkleben den Tonabnehmer direkt mit dem Headshell, um eine gleichmäßige Energieübertragung zu gewährleisten und Schwankungen bei der Installation zu vermeiden. Eine viskoelastische Schnittstelle enthält kleine Kissen aus energieabsorbierendem Material innerhalb der Mosaike. Dieser Ansatz beseitigt das Risiko eines unvorhersehbaren Drei-Punkt-Kontakts, wie bei Standardaufbauten. Dadurch wird die Schwingungsenergie sowohl kontrolliert als auch erheblich gedämpft. Die Finne auf dem 5mm dicken Kohlefaser-Headshell erhöht die Steifigkeit und Dämpfung weiter, während eine 1mm dicke Korkoberfl äche für eine deutliche Breitbanddämpfung im gesamten System sorgt.“ Zurück zum Tonabnehmer: durch die Verbindung mit dem Borstäbchen ist es offenbar gelungen, die Anregung der Nadelträgereinheit während der schnellen Beschleunigung und Abbremsung bei der Abtastung deutlich zu verringern. Dazu noch einmal Craig:“ Eine zusätzliche Masse (auch wenn sie gering ist) ist zwar nicht ideal, aber die minimale Erhöhung - strategisch näher am Drehpunkt als an der Abtastnadel platziert - führt zu dieser Kombination aus Ruhe und explosiven Transienten.“ Das Maß an spezifischer Steifigkeit und Dämpfung ist unfassbar gut gelungen, wie wir hören werden.  

Mehr Details
Die Ausgangsspannung des TESSELLATE Ti-B von 0,32mV bei 6 Ohm Innenwiderstand ist ein Wert, der die wenigsten MC-Phonostufen oder gar MC-Übertrager vor Probleme stellen dürfte. Spannend ist die Kombination mit einer empfohlenen Auflagekraft von nur 1,35 Gramm. Das kennen wir höchstens von Van Den Hul. Dazu Craig: „Die geringe Auflagekraft scheint viel Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei ging es vor allem um Finesse - das Beste aus der Schallplatte herauszuholen und dabei möglichst wenig einzugreifen. Es ist ein empfindliches Gleichgewicht, aber mit der Aufhängung, dem UD-Carbon-Dämpfer und dem Titankörper, die harmonisch zusammenarbeiten, ist es uns gelungen, etwas zu schaffen, das sowohl sanft zum Vinyl als auch kompromisslos in der Leistung ist. Ein großer Teil davon ist auf das Aufhängungssystem zurückzuführen, das genau das richtige Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Kontrolle bietet, so dass die Abtastnadel die Rille mit minimalem Druck abtasten kann, aber dennoch einen präzisen Kontakt hat. Schallplatte und Abtastnadel werden geschont und der Tonabnehmer kann auch feinere Details wiedergeben, ohne dass er sich auf eine größere Kraft stützen muss, um die Rille stabil zu halten.“  

Klang
Selten war ich mir mit einem Hersteller über Klang so einig wie mit Craig Milnes. Er teilte meine Einschätzung und packte sie in seine Worte: „Wenn alles an seinem Platz ist (wie Thom Yorke sagen würde), entsteht ein kohärenter, organisierter und müheloser Klang mit explosiver Dynamik und gelassener Ruhe.“ So habe ich das auch erlebt. Und auch wenn das TESSELLATE Ti-B bestimmt im Gesamtsystem von Wilson Benesch noch klangliche Schippen drauflegen mag, hat es mich in meiner Anlage mit der ersten Note schon begeistert. Montiert habe ich es im Schröder CB Tonarm und einem Aluschaum- Montageplättchen, das mit energiereichen Tonabnehmern besonders gut umgehen kann. Mit zusätzlicher Bedämpfung sollte man vorsichtig sein, das System reagiert deutlich auf alles. Und mit seiner elliptischen Nadel ist es ja auch erst der Einstieg in die TESSELATE-Welt. Trotz der angegeben Einspielzeit von 30 Stunden kam mir praktisch mit den ersten Takten der Gedanke: das klingt so, wie ich mir ein Master Tape vorstelle, extrem aufgeräumt, gut strukturiert ohne jemals analytisch oder gar langweilig zu sein. Dazu höchste Abtastruhe und extreme Dynamik, wenn gefordert. So explodieren Art Blakeys Drumbreaks auf Hank Mobleys „Roll Call“ fast in meinen Raum, wie ich es noch nie gehört habe. Sie bleiben dabei allerdings extrem sauber. Die Sticks des wahrscheinlich lautesten Drummers der Jazzgeschichte krachen und donnern zwar wie irre auf den Fellen, aber es verzerrt null. Mobley, der Mittelgewichtschampion unter den Tenorsaxofonisten, hat hier auch eine Sternstunde. Er konnte mittelmäßig, schläfrig oder uninspiriert wirken, aber auf Roll Call ist er voll in seiner Mitte, hat den Groove und improvisiert einfach göttlich. Und während ich das schreibe, packen mich Freddie Hubbards Trompetenblech, der so lässig strukturierte Bass von Paul Chambers und das fast perkussivstrukturierende Klavier von Wynton Kelly echt bei den Eiern. Mit welch überragendem Timing hier alle zusammenspielen ist unerhört, dank des TESSELATE TI-B. Bei Shelly Manne und seinen Leuten überwältigt mich die ungeheuer gefühlvolle Version von Summertime: so weich und doch nicht wattig, livehaftig und integrativ. Und wenn ich Otis Redding unvergleichliche Stimme auf „I‘ve Got Dreams to Remember“, verstehe ich ihn in seiner Größe und Zerrissenheit. Ich fühle mich direkt in die 60er Jahre versetzt und muss hinterher gefühlt lüften, um den Raum vom imaginierten Zigarettenrauch zu befreien. Ich bin mir sicher, zu Hause noch nie einen besseren Tonabnehmer gehört zu haben. 


Unterm Strich...

Der Wilson Benesch TESSELLATE Ti-B Tonabnehmer ist einer der besten Tonabnehmer auf diesem Planeten. Ich war nie näher am Mastertape-Klang.

KategorieTonabnehmer
ProduktTESSELLATE Ti-B
HerstellerWilson Benesch
Preis6490 Euro
Getestet vonChristian Bayer
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Christian Bayer
Redakteur / Tester

Christian Bayer


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